4 min read

Für eine Weile geht im Limousin die Sonne ohne mich auf und unter. Das finde ich doof, aber ich kann es nicht ändern.

Ich weiß nicht mehr, ob wir auf der Rückreise viel geredet haben, wahrscheinlich haben wir das, aber ich kann mich nicht erinnern. Meine Gedanken bewegen sich in einer endlosen Schleife um das Stückchen französische Erde, das bald wohl meins sein wird.

Meine Eltern haben nie etwas gekauft, ich bin in Mietwohnungen groß geworden. Lange Zeit war ich sehr rastlos, fand das Wohnen zur Miete und häufige Ortwechsel normal, schließlich bin ich ein Bundeswehrkind. Ich habe kein Gefühl für Wurzeln. Also habe ich sie mir mit schöner Regelmäßigkeit abgerissen und es nicht einmal gemerkt. Oder ich hatte einfach keine. Das Kind von zwei Flüchtlingen bin ich ja schließlich auch.

Die Wohnung in Bonn zu kaufen ist mir leicht gefallen, aber nur, weil ich mir bei Freunden abgeguckt habe, wie man das macht. Und weil mir völlig klar ist, dass ich sie ohne Probleme wieder verkaufen kann.

Doch, ich erinnere mich, dass wir auf der Rückfahrt gelacht haben, weil das Wochenendhäuschen entweder in der Nähe sein sollte oder am Meer. Jetzt ist es tausend Kilometer weit weg und es sind gut zwei Stunden bis zum Atlantik. Von der Ursprungsidee ist nicht viel übrig geblieben. Geteilt wird es auch nicht, Anne spricht lieber Englisch als Französisch.

Ich setze Anne in Aachen ab; sie fährt mit dem Zug weiter, ich habe dort einen Kurs gebucht. Eine der Teilnehmerinnen des Kurses heißt Aline. Sie stammt aus Limoges. Dieser Landstrich scheint sich in meinem Leben mit Macht manifestieren zu wollen.

Sie ist nett, wir verstehen uns auf Anhieb und sie gibt mir viele gute Ratschläge wie z.B.,

Il n’y a pas d’IKEA à Limoges.

Tiefer kann eine Provinz nicht sein.

Sie erklärt sie mir die unterschiedlichen Arten von Steuern, die ich jetzt bezahlen werde und dass deren Höhe in Frankreich sehr unterschiedlich sein kann. Je sexier der Landstrich desto höher die Steuern. Grundsteuer, taxe foncière, kenne ich schon, Wohnsteuer, taxe d’habitation, ist mir neu. Davon hatten die beiden Besitzerinnen auch gesprochen, aber die Beträge hatten mich nicht erschreckt. Im Limousin prügeln die Menschen sich nicht um Grundbesitz.

Während des Kurses seufzt eine der Teilnehmerinnen:

- Hoffentlich ist das die richtige Entscheidung.

Die Kursleiterin kommentiert:

- So läuft das nicht mit den Entscheidungen. Man trifft sie und dann MACHT man, dass es die richtigen sind.

So habe ich das noch nie gesehen. Darüber muss ich mal nachdenken.

Das mit dem Kredit ist schwieriger, als ich gedacht habe. Wir haben nämlich Finanzkrise. Als ich 2005 den deutlich größeren Kredit für die Wohnung in Bonn aufgenommen habe, haben mich alle Banken angesichts der Summe behandelt, als wollte ich mir ein großes Eis kaufen. Jetzt legen sie ihre Gesichter in Falten und behandeln mich, als wollte ich die Kasse klauen. Ich bin Angestellte im öffentlichen Dienst und hatte eigentlich gedacht, es würde ganz einfach werden.

Wir können in Frankreich nicht pfänden,

formuliert die Bank ihre Ängste, den Gegenwert eines Auto NIEMALS wiederzubekommen. Am Ende meines Studiums hat man mich bei einer anderen Bank mal gefragt, wie ich 800 DM Schulden JEMALS zurückbezahlen wollte. Daraufhin habe ich die Bank gewechselt.

Ich biete als Gegenmittel die zur Hälfte bezahlte Wohnung in Bonn an und bekomme das Geld.

Die Reaktionen meiner Umwelt sind ein bisschen seltsam. Niemand außer Anne freut sich für mich. Es wird überwiegend der Kopf geschüttelt, im besten Fall seltsam geguckt und geschwiegen.

Meine Gedanken rattern ununterbrochen. Stundenlang starre ich die paar Fotos an, die ich habe. Was und in welcher Reihenfolge? Was soll ich mitnehmen beim ersten Mal? Was will ich eigentlich daraus machen? Was mache ich da eigentlich?

Zum Glück fahre ich einen Ford Courier Kastenwagen mit LKW-Zulassung und ohne Rücksitze.

Egal, wo ich damit vorfahre, beschädigt er sofort meinen Sozialstatus. Aber es geht was rein; für den Spontaneinkauf kleiner Häuschen am Arsch der Welt habe ich zumindest das richtge Gefährt. Normalerweise beherbergt es mein Fahrrad, den Schlafsack und genügend Klimbim, um in freier Wildbahn zwei Wochen überleben zu können. Mein Vorbesitzer hat eine Judomatte hineingeschneidert, ich habe also mein Hotelzimmer auch immer dabei. Meine Schüler benutzen ihn wegen seiner knallroten Farbe als Treffpunkt und einmal hatte ich eine gezeichnete Erklärung des Hebelgesetzes auf der Seitenwand. Die Größe der Fläche und die Menge an Staub haben für eine schöne Zeichnung ausgereicht.

Von Natur aus bin ich schon nicht besonders ruhig. Ich zappel mich durch bis zu den Herbstferien. Die Bank hat versprochen, das Geld bis zum Notartermin auf das Konto der Kanzlei zu überweisen. Die beiden Damen haben mir versprochen, dass ich den Schlüssel sofort haben kann, es juckt mir schon seit Wochen in den Fingern, anzufangen. Am liebsten hätte ich die lose Tapete schon auf den Fotos abgerissen.

Als es endlich so weit ist, kämpfe ich mich mehr schlecht als recht durch die tausend Kilometer, dieses Mal allein. Es wird früh dunkel, das hätte ich wissen können, habe ich aber verdrängt. Mein Zutrauen, dass ich diese Strecke ohne weiteres alleine fahren kann, bekommt Risse. Ich komme völlig ausgepumpt in der Gemeinde sechs Kilometer hinter Mon Village an, wo ich für die erste Nacht ein Hotelzimmer gebucht habe.

Die Frau im Spiegel sagt mir zu recht, dass das, was ich getan habe, sehr dumm war. Hätte ich das Hotelzimmer dreihundert Kilometer vorher genommen, etwas gegessen, mich in eine Badewanne und vor den Fernseher gelegt, hätte ich am nächsten Vormittag entspannt die letzte Etappe fahren können und wäre trotzdem noch rechtzeitig zum Treffen an der Gartenmauer am frühen Nachmittag erschienen.

Ich schiebe die Kritik der blöden Tusse im Spiegel unwillig beiseite und gehe unter die Dusche, vor den Fernseher und ins Bett. Ab morgen habe ich kein Badezimmer und keinen Fernseher mehr und sonst auch eigentlich nicht viel außer einer eigenen Feuerstelle. Morgen kann ich einziehen.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

Read more posts by this author.

Bonn