Abenteuer im Limousin

5 min read

Das Menschengefüge in Mon Village ist übersichtlich. Sechzehn ständige Einwohner sind es Ostern 2010, die meisten sind Rentner oder werden es bald sein. Unzählige Hühner und für meinen Geschmack ein paar schlecht erzogene Hunde zu viel. Ich bin nicht so Hund, mehr Katze.  Am Anfang habe ich die Einwohnerzahl überschätzt, weil ich nicht wusste, dass die drei Häuser am Ortsausgang einen eigenen Ortsnamen haben, Les trois coqs, Die drei Hähne, also nicht zu uns gehören.

Die touristes, also wir, werden nach Herkunft sortiert: einmal Holland, zweimal Paris, einmal Deutschland. Alle zusammen sind wir etwa noch einmal zehn. Bei den Holländern weiß man, warum sie da sind. Der Familienvater Maurice hat eine Französin geheiratet und das Haus gekauft, um ihr eine Freude zu machen. Die gemeinsamen Kinder haben alle französischen Vornamen. Jean-Michel hat seine Hütte gekauft, weil er zu der Zeit nicht weit von hier in Poitiers gelebt hat. Christian aus Paris stammt von hier und ist nach langen Jahren Ausland und Karriere wieder zurückgekommen. Was ich in Mon Village zu suchen habe, weiß keiner so genau.

Der Holländer Maurice ist eine graue Eminenz, man spricht mit Achtung von ihm. Als er ankam, hat er ohne Rücksicht auf die Konflikte im Dorf, von denen es reichlich zu geben scheint, einfach alle zu einem Fest eingeladen. Das ist gut angekommen. Er hat seinen Besitz gepflegt, Kontakt mit den Leuten gesucht und gefunden und wird allseits vermisst. Seit dem Tod seiner Frau kommt er so gut wie gar nicht mehr. Für mich ist er ein Yeti, ich habe hier noch keinen Holländer gesehen.

Blueboy
Photo by sebastiaan stam / Unsplash

Ostern 2010 ist schönes Wetter, ich habe gute Laune und das Gefühl voran zu kommen. Mit der Schleifmaschine mache ich mir an meinen Gipswänden zu schaffen, wie immer sehr sexy im Blaumann, heute mit Mundschutz und der Schönheit derjenigen, die gerade in einen Mehlsack gefallen ist. Hartnäckig rücke ich den grauen Feuchtigkeitsblumen zu Leibe und mit jedem Quadratmeter wird es heller im Raum. Da ich in der Küche arbeite, die sich an der Morgensonnenseite befindet, kann ich den Schatten, der sich über meinen Vorgarten legt, wahrnehmen. Es ist ein großer Schatten und der Verursacher steht auf der Stufe auf dem Weg zu meinem Häuschen.

Zu dieser Zeit habe ich noch keine Glocke am Gartentor, eine Anschaffung, die ich mal dringend in Angriff nehmen sollte.

Der Verursacher des Schattens ist auch groß und umso größer, als er auch noch auf der Stufe oberhalb von mir steht. Er mustert mich mit gerunzelten Augenbrauen.

Er sieht: Klein, blond, schmutzig.

Viel mehr gibt es wohl nicht sehen. Fleißig vielleicht noch. Er ist groß, dunkel und sauber. Mehr sehe ich nicht, ich habe die Sonne im Gesicht. Uphill, against the sun. Die ungünstigste Kampfposition, das weiß man als Bundeswehrtochter.

Mit einer dynamisch-energischen Bewegung schiebt er seinen rechten Arm nach vorne und hält mir eine maßstabsgerecht große Hand entgegen.

- Je suis venu faire connaissance.

- Ich bin gekommen, um Sie kennenzulernen.

Also der ist schon mal nicht von hier, das wäre in Frankreich absolut undenkbar. In Kombination mit seinem Akzent schließe ich, dass ich gleich einen Holländer kennenlernen werde. Er zeigt auf das süße Bruchsteinhaus mit den roten Fensterläden, sagt, dass er da wohnt und bestätigt so meine Vermutung.

Er stellt sich als Marcel vor. Ich weiß, dass ich jetzt keine Wahl habe und ich freue mich, dass ich Besuch bekommen. Also lege ich meine Schleifmaschine zur Seite und biete ihm einen Kaffee an. Er nimmt lächelnd an und folgt mir auf die Baustelle.

Ich habe mit Holländern nur gute Erfahrungen gemacht. Sie haben auf mich immer entspannt, offen, freundlich und unkompliziert gewirkt.

Kaum sitzt Marcel, den ich für Maurices Sohn halte, nimmt er ein mit Fragen gefülltes Maschinengewehr und betätigt den Abzug.

- Was machst Du hier?

Hoppla, er duzt mich, das ist auch völlig unfranzösisch. In Paris habe ich gelernt, dass man in Frankreich nicht einmal seinen Hund duzt. Aber es stört mich nicht.

- Wie hast Du das Häuschen gefunden?

- Was hast Du damit vor?

- Wie alt bist Du?

- Bist Du verheiratet?

- Warum nicht?

- Hast Du Kinder?

- Warum nicht?

- Hast Du einen Freund?

-....

Innerlich mache ich Kulleraugen vor so viel Direktheit und kichere unhörbar vor mich hin. Äußerlich gebe ich tapfer Auskunft. Vorsichtig angenommen, könnten das die Fragen sein, die sich meine Umgebung hier in Bezug auf mich stellt. Und eigentlich ist es mir lieber, ich bekomme Gelegenheit, selbst darauf zu antworten. Dann habe ich eine Chance, das alte Vorurteil, eine Frau, die allein unterwegs ist, könne ja nur Kampflesbe oder Männerhasserin, krank oder sonst irgendwie seltsam sein, mit einer differenzierteren Version zu unterlaufen.

Während wir reden, versuche ich herauszubekommen, wie dieser Mann eigentlich aussieht. Und das ist gar nicht so einfach, er scheint irgendwie mit der Umgebung zu verschwimmen.

Shadows on cement wall
Photo by Pacific Austin / Unsplash

Klar ist, dass er ein nettes Lächeln und eine etwas zu hohe Stimme hat. Ich schätze ihn etwas älter als mich (46) auf Anfang fünfzig. Er trägt einen Drei-Tage-Bart. Ich habe, was ich bei ihm wahrnehme, schon bei anderen Männern in seinem Alter gesehen. Alle Komponenten für einen gutaussehenden Mann sind vorhanden, aber es ist irgendwie nichts daraus geworden.

Er hat schöne Augen aber keinen klaren Blick. Er hat eine gute Gesichtsform, aber sie hat keine Kontur. Er hat einen guten Körperbau, aber an den falschen Stellen etliche Kilo zu viel und eine unsichere Körperhaltung. Er wirkt auf mich unbestimmt, unklar, nicht auf den Punkt gebracht. Da er langsam ergraut, ist auch die Haarfarbe nicht eindeutig.

Nett ist er trotzdem und mein Nachbar ist er auch. Also plaudern wir weiter. Nachdem ich seine Fragen so klar und so wahrheitsgemäß wie möglich beantwortet habe, stelle ich auch eine.

- Et toi?

- Und du?

Er erzählt mir, dass er alte Autos sammele, bevorzugt Citroen. Eine Berufstätigkeit erwähnt er nicht. Seine Lebensgefährtin heiße Rose und sei auch da. Die Kinder seien keine gemeinsamen sondern ihre. Die seien aber nicht da. Und jetzt müsse er gehen, ich solle aber mal auf einen Kaffee vorbeikommen, sie renovierten auch gerade.

Erfreut über die Einladung und über die Aussicht, mal eine andere Baustelle zu sehen als meine, sage ich mein Kommen für den nächsten Tag zu.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

Read more posts by this author.

Bonn