Welpen, kleine und große

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Das Triped

Was an einem gewerblich-technischen Berufkolleg so toll ist, ist dass es unter dem Radar bleibt. Niemand außer dem dualen Partner kann beurteilen, ob das, was man da so tut, auch sinnvoll ist. Auch die Bezirksregierung hat nur eine ungefähre Ahnung, was ein MRVT (Mechaniker für Reifen- und Vulkanisationstechnik) in drei Jahren Ausbildung lernen sollte. Wenn man sich also mit dem dualen Partner gut stellt, hat man fast völlig freie Hand.

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Als ich 2005 in Köln die Fahrradmonteure übernommen habe, war ich zunächst etwas überfordert. Bloß weil ich gelernte Motorradmechanikerin war, hatte ich natürlich nicht für zwei Jahre Unterrichtseinheiten fertig und ehrlich gesagt hatte ich von der Physik des Fahrrads auch nicht so wirklich viel Ahnung. Schrauben konnte ich sie, aber durchdacht hatte ich sie nicht. Und die Mädels und Jungs hatten bis zu zehn Stunden Technik pro Woche. Und das Problem an diesen Mädels und Jungs war: Sie waren gut, völlig fahrradverrückt und hungrig nach Wissen.

Bei meiner Arbeit für die Jugendwerkstatt Klettenberg hatte ich einen Chef, der ein Meister im Phrasendreschen und Nebelwerfen war. Spuren ernsthafter Arbeit waren ihm nicht nachzuweisen. Ich habe ihn beobachtet und viel von ihm gelernt. 2005 war also das Jahr um etwas Nebel zu erzeugen, damit ich mich in Ruhe einarbeiten konnte.

Such a foggy day at Gold Creek Pond in Washington. Normally you can see mountains behind this little island.
Photo by Dave / Unsplash

Also haben meine Klasse und ich eine Schülerfirma gegründet. Alle waren total begeistert, ich galt in NullKommaNix als gute Lehrerin und hatte mir Zeit verschafft, das Ganze auf inhaltlich solide Füße zu stellen. Der Schulleiter aus der Zeit hat mir sehr viel Rückenwind gegeben und dafür gesorgt, dass wir eine Werkstatt bekommen. An Kundschaft hat es nie gemangelt und meine Klasse hatte immer eigenes Geld, das wir dann beim MTB-Festival in Willingen für Tee und Kuchen ausgegeben haben. Das jährliche Stammestreffen gibt es heute noch.

Dass wir an der Schule geschraubt haben, hatte sich nach einer Weile herumgesprochen. Und es gab auch immer wieder externe Kunden. Einer rief mich an und wir haben uns vor dem Unterricht getroffen.

Er formuliert folgendes Anliegen: Er will ein aus drei Fahrrädern zusammengeschweißtes Fahrzeug, um einen Karnevalswagen zu ziehen. Okeee.

My dad and I like whisky. So we drank a Lagavulin 16 year old whisky which has great peted taste.
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Wie groß und wie schwer ist der Anhänger? Ist er gebremst oder ungebremst? Wie ist das Streckenprofil? Sind auf dem Anhänger nur Aufbauten oder auch Menschen? Was darf das Ganze kosten? Meine Lieblingsantworten sind:

Die Strecke ist völlig flach, einmal quer durch Deutz und am Ende über die Severinsbrücke.

Nein, keine Leute, höchstens ein paar Kinder. (Das sind die kleinen Leute, die man neu machen kann, wenn sie kaputtgehen. Anm. der Autorin)

Ich frage meine Klasse und die hat Lust bis zum Anschlag. Und ich habe keine Ahnung, wohin uns das führen wird, aber das macht nichts. Ich liebe Unterricht mit ungewissem Ausgang. Und ich darf zwar alles essen, muss aber nicht alles wissen.

Also wird die Klasse in vier Gruppen aufgeteilt. Jede Gruppe soll über Rahmen, Laufräder, Bremsen und Antrieb entscheiden. Ich werfe Stifte, Plakate und Bücher in die Arena und bin ansonsten arbeitslos. Die Hütte brennt. Nach einer angemessenen Zeit werden die Gruppen umorganisiert. Jede Gruppe benennt einen Bremsen-, einen Fahrwerks-, einen Antriebspezialisten. Die Spezialisten sollen sich jetzt als neue Gruppe finden und sich einigen. Die Hütte brennt. Die Rahmen werden immer kompakter, weil die einwirkenden Kräfte so groß sind. Wo müssen die Schweißnähte und die Vertrebungen hin? Die Bremsen werden immer teurer, weil so ein Anhänger ganz schön schiebt, wenn er in Fahrt ist. Die Laufräder werden immer kleiner, weil bei einer Kurvenfahrt der Anhänger in die falsche Richtung schiebt und nicht um die Kurve will. Wie lenken wir? Bei drei Rädern muss dass kurvenäußere Rad einen größeren Kreis fahren als das kurveninnere. Die Kfz-Kollegen werden eingeladen und befragt, Kurven mit zwei Rädern auf einer Achse können sie einfach besser. Wie pedalieren wir, wenn alle drei Vorderräder auf einer Achse laufen sollen? Jenni, die sonst nie etwas tut, kümmert sich eigenständig und freiwillig um die TÜV-Abnahme.

Ich habe der Klasse versprochen, dass wir das Ding bauen, wenn wir den Auftrag bekommen und bete heimlich, dass wir ihn nicht bekommen. Nach ungefähr vier Wochen sagt sich relativ kurzfristig der Kunde an. Wir stampfen kurzfristig eine Kostenübersicht, eine Projektmappe und eine Präsentation aus dem Boden. Max übernimmt das Ruder. Sonst schläft er im Unterricht gerne, denn der Weg aus dem Westerwald ist weit. Oder er flirtet mit Jenni. Aber jetzt ist er unschlagbar und leitet die anderen an. Er hat seither eine sehr steile Karriere im Management gemacht.

Die veranschlagten Kosten liegen mittlerweile bei 4500€. Als der Kunde das hört, müssen wir ihn liegend beatmen. Wir bekommen den Auftrag nicht, aber er ist beeindruckt von der Schlüssigkeit der Argumentation und der Professionalität der Klasse. Ich auch.

Die Klasse ist enttäuscht, ich bin erleichtert. Wir führen das Ganze noch zu Ende, indem wir kalkulieren, was die Berechnung des Projektes einen Betrieb an nicht bezahalter Arbeitszeit gekostet hätte. Das ist für alle sehr ernüchternd und hält sie hoffentlich lebenslang von solchen Vorhaben fern.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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