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Conoce la tierra.
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Mein Ablösungsprozess von der Schule auf dem Mars ist schon weit fortgeschritten in diesem Frühling. Ich habe meine Rückkehr zur Erde zwei Mal beantragt. Den ersten Antrag hat Alphons Mahlert abgelehnt. Er begründet es damit, dass er mich brauche.

Ohne allzuviel falsche Eitelkeit: Das stimmt auch, FachlehrerInnen für interstellare Einspurfahrzeuge wachsen nicht auf Bäumen. Aber das hätte er sich überlegen können, bevor er anfing, mir das Leben zur Hölle zu machen. Er hat mich in Konferenzen öffentlich demontiert, ohne dass ich ein einziges Mal die Möglichkeit hatte, den oft falschen Aussagen zu widersprechen. Er hat mein pädagogisch wertvollstes Projekt mit einem Satz beerdigt und durch ein viel schwächeres Projekt ersetzt. Ich habe Stundenpläne bekommen mit 33 Unterrichtsstunden (normal sind es 25,5), weil die Stellvertreterin Eugenia den Stundenplan nicht im Griff hatte oder weil sie einfach mitgemobbt hat. Ich habe Stundenpläne bekommen, bei denen ich am Freitag nur für die siebte und achte Stunde zu kommen hatte. Ich hatte eine Dienst-E-Mail-Adresse, die nicht funktionierte. Das habe ich bekannt gegeben, sie wurde aber fröhlich weiter benutzt und ich ständig unter Stress gesetzt, weil mir Informationen fehlten. Post zu meinen Händen wurde geöffnet und an jemand anderen weitergeleitet, wichtige Unterlagen, Abrechnungen und Abschlusszeugnisse verschwanden spurlos aus meinem Fach. Der Spuk dauerte fünf Jahre lang.

Young boy shows the middle finger – symbolic tell somebody to fuck off
Photo by Markus Spiske / Unsplash

Den zweiten Antrag auf Rückversetzung auf die Erde hat er dann genehmigt. Ich denke, dass die übergeordnete Etage ihm dabei geholfen hat, das Kreuz dann doch noch an die richtige Stelle zu setzen. Ich bin ein paar Mal dort vorbeigegangen.

In diesem Frühjahr ist auch schon klar, wo auf der Erde ich landen werde und ich freue mich darauf.  Den Kummer darüber, dass ich die Monteure für interstellare Einspurfahrzeuge aufgeben muss, darf ich behalten. Sein Abschiedsgeschenk.

Ich neige trotzdem dazu nach Feierabend im Treppenhaus das Lied der neuen Serie Outlander zu singen, weil es im Treppenhaus so schön hallt:

Sing me a song of a lass (Frau) that is gone. Say could that lass be I?

Merry of soul she sailed on a day over the sea to Skye.

Billow and breeze, islands and seas, mountains of rain and sun.

All that was good, all that was fair, all that was me is gone.

(In der Serie wird nur die letzte Strophe gesungen.)

Dieser Akademieleiter hat es geschafft, ein sehr gut funktionierendes Stück Akademie zu zerstören, so wie er dann im weiteren Verlauf die Akademie vollständig vor die Wand gefahren hat. Mein designierter Nachfolger ist im Frühjahr schon da und ich gebe mir sehr viel Mühe mit seiner Einarbeitung. Ich will ja nicht die Klasse bestrafen. Ich will nur weck.

An diesem sonnigen Mittwoch ruft Mahlert mich in sein Büro. Das ist mir unangenehm, denn ich versuche seit vielen Monaten bei Gesprächen mit ihm immer einen Zeugen dabei zu haben. Aber ich leiste mir in diesem Moment eine gewisse Großzügigkeit, nicht die der Siegerin, denn in seinem kranken Spiel gibt es nur Verlierer. Aber die Großzügigkeit der Person, die dieses sinkende Schiff als nächstes verlassen kann, denn dazu ist dieses Bildungsinstitut geworden. Ich bin weder die erste noch die letzte, die geht.

Er legt denn Kopf schräg, versucht unschuldig zu gucken und bemüht eine widerlich sanfte Stimme. Alles Signale, die bedeuten sollen: Vertraue mir. Er wirkt ähnlich wie der Wolf in dem Märchen, der Kreide gefressen hat, um die Schweinchen zu überzeugen oder die Schlange Kaa im Dschungelbuch, also völlig unglaubwürdig.

Sein Vorschlag lautet wie folgt: Ich würde mir mit der Einarbeitung des Nachfolgers ja so viel Mühe geben und so viel Zeit investieren. Er hätte am Mittwoch die ersten vier Stunden in meiner Klasse. Die würde er in den kommenden Wochen im Logbuche frei lassen, ich sollte mich da als Vertretung eintragen und die Stunden als Überstunden abrechnen. Damit sei dann wenigstens ein Teil der vielen Stunden bezahlt.

Zu dem Zeitpunkt leide ich schon seit zwei Jahren an massiven Schlafstörungen. Das wirkt sich negativ auf meine Gehirnleistung aus. Also reagiere ich gar nicht, verabschiede mich und gehe. Ich habe ein Fragezeichen im Kopf und weiß, nicht, was hier passiert. Dass er mir wohlwill, kann ich ausschließen. Dass der Vorschlag zu etwas Verbotenem auffodert, ist klar. Warum also schlägt er so etwas vor?

Drei Gespräche führen zum Verständnis.

Meine Freundin Ute sagt: Klingt komisch, darf man in gar keinem Fall. Mach nix.

Mein Freund Heiner sagt: Ist der wahnsinnig? Das ist Dokumentenfälschung.

Und meine Freundin Lina springt vor Wut aus dem Hemd: Der versucht dich justiziabel zu kriegen, vor Gericht zu zerren und aus dem interstellaren Dienst werfen zu lassen. Meine Güte, der hasst dich wirklich.

Aber: Die Schule auf dem Mars habe ich mir zum Glück ja nur ausgedacht um meine LuL zu unterhalten. Nichts von dem Beschriebenen ist passiert, die handelnden Personen, auch das Ich, sind frei erfunden. Ähnlichkeit mit natürlichen Personen, auch mit mir, sind rein zufällig. In meiner fiktionalen Marswelt war das der drittletzte Versuch mich kleinzukriegen. Die zwei letzten demnächst in diesem Kino.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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Bonn