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Teil 1: Ein fröhliches Mittagessen bei mir

Ich komme mir vor wie ein Neandertaler, ich habe ein Feuer, eine Höhle, etwas zu essen und sonst nichts. Irgendwann in diesem ersten Urlaub in Mon Village scheint auch mal die Sonne. Ich putze, als wäre meine Mutter hinter mir her.

Jean-Michel ist für das Wochenende in seinem Häuschen zweihundert Meter weiter und hält freundlichen Sicherheitsabstand zu meinem Gewirbel. Er hilft mir dennoch, die Schränke zu verschieben und die Angst vor dem Gekrabbel darunter in den Griff zu bekommen.

Valérie sei auch da, eine Freundin aus Paris.  Ihre Familie hat ein großes Herrenhaus drei Weiler weiter. Es wäre doch nett, wenn wir uns kennenlernen würden. Ob wir zusammen essen wollten? Warum nicht. Ich habe gerne Gäste und lade die beiden für den kommenden Tag zum Mittagessen ein.

Am nächsten Tag scheint die Sonne, ich räume meinen roten Resopaltisch und die dazu passenden unbequemen Stühlchen auf die Veranda, super, dann stehen sie mir drinnen bei der Arbeit nicht mehr im Weg.

Der Speiseplan ist einfach aber handelsüblich. Es gibt Salat und Merguez, Brot, Käse und irgendein gekauftes Dessert. Valérie ist Anfang dreißig, also deutlich jünger als Jean-Michel und ich. Sie ist Ärztin in Paris, brünett und hübsch. Sie sieht sich bei um, zieht die Augenbrauen hoch, wirft mit lässiger Geste ihr Laptop auf mein Bett, dreht eine Runde im Garten und setzt sich in die Sonne. Jean-Michel setzt sich dazu und ich gehe kurz in die Küche, um nach dem Essen zu sehen. Als ich zurückkomme, sind beide mit ihren I-Phones beschäftigt. Ich spreche sie an, sie schauen kurz auf und versinken wieder in ihren Bildschirmen.

Soll ich jetzt sagen, dass das keine gute Technik ist, um sich kennen zu lernen? Für heute lasse ich das mal sein. Ich bleibe noch eine Minute in der Sonne stehen und folgere selbsttätig, dass ich jetzt das Essen servieren darf. Also tue ich das als artige Kellnerin. Weder das Tisch decken noch die Ankunft der Getränke oder der Mahlzeit reißt die beiden aus ihrem Datenrausch. Dann eben nicht. Ich wünsche den beiden gesenkten Häuptern Bon appétit und fange an zu essen, ich bin sehr hungrig, der Vormittag war lang und anstrengend. Meine Mahlzeit ist schon fortgeschritten, als die beiden mit einem abschließenden Seufzer die Telefone weglegen und sich auch etwas zu essen nehmen. Das hübsche Frollein beginnt ein Gespräch mit Jean-Michel über Themen, die mir unbekannt sind und die sich aus dem Gespräch auch nicht erschließen. Ich stelle ein bis zwei Fragen, bekomme sie aber auf eine Weise beantwortet, die mir deutlich macht, dass meine Beteiligung an dem Gespräch nicht erwünscht ist.

Ok, ich bin also gar nicht im Limousin, sondern wieder in Paris, wo das  Sozialleben nicht zum Vergnügen stattfindet, sondern eine Kampfsportart ist. Man muss erst seinen Sozialstatus lautstark bewiesen haben, bevor man überhaupt wahrgenommen wird. Männer tun das durch beiläufige Hinweise auf berühmte Bekanntschaften, ihre letzten großen Taten oder Anschaffungen und indem sie teure Gegestände so lässig durch die Gegend schleudern wie Valérie vorhin ihren Rechner. Und durch die Schönheit ihrer Partnerin. Frauen tun es durch Schönheit, eine gute Inszenierung, Charme und den Sozialstatus ihres Partners. Als wirkliche Gesprächspartner gelten Frauen aber in größeren Runden eigentlich sowieso nicht. Sie erhöhen, wenn hübsch, eben den Sozialstatus ihres Partners.

Verbale Selbstverteidigung habe ich notgedrungen gelernt, den Angriff nicht. Ich finde das System doof und entziehe mich ihm, wo ich kann. Spreche ich meine französischen Freunde darauf an, weiß keiner, wovon ich rede.

Gut, mit meinem Blaumann, ungeschminkt, den schmutzigen Fingernägeln und dem Zitronenduft meines Putzmittels als einzigem Parfum bin ich wirklich nicht konkurrenzfähig heute.  Auch nach fast dreißig Jahren habe ich mich nicht an die parisiens gewöhnt; dass gutes Aussehen und Präsentieren der eigenen Vorzüge für Frauen die erste Sorge ist. Und wenn man bei etwas nicht gut aussehen kann, et voilà, dann tut man es eben nicht.

Wir bringen dieses Mittagessen etwas mühselig zu Ende. Auf der sehr kurzen Liste der Menschen, die ich hier kennenlernen möchte, streiche ich Valéries Namen lautlos. Mich hier mit den Angewohnheiten der parisiens auseinanderzusetzen, ist das letzte, worauf ich Lust habe.

Teil 2: Die Gegeneinladung

Wir erhalten in den nächsten Tagen eine Gegeneinladung ins Herrenhaus zum Abendessen. Das heißt, von allem eine Schippe mehr. Herrenhaus statt Wochenendhütte und dîner statt Mittagessen,. Ich habe weder Lust, Valérie wiederzusehen noch auf ein langes Abendessen. Normalerweise falle ich zwischen zehn und halb elf wie ein zu schnell abgeschraubter Kronleuchter ins Bett. Außerdem müsste ich mich säubern, also schwimmen gehen, mich danach nicht wieder dreckig machen, hübsche Klamotten in meinem logistischen Durcheinander finden und mich wahrscheinlich schminken. Schon bei dem Gedanken wird mein rechter Arm extrem schwer. Bei den Öffnungszeiten des Schwimmbades kostet mich das einen halben Tag Arbeit und ich sitze in einer Baracke rum, in der man vorläufig nichts tun kann, als lesend am Feuer sitzen. Das kann ich mir eigentlich nicht leisten, es sind zu wenig Tage im Verhältnis zu dem, was ich schaffen möchte.

Ich weiß nicht, warum Jean-Michel so insistiert oder doch, eigentlich weiß ich es schon. Wenn ich nicht komme, muss er das begründen. Das ist nicht einfach in diesem nicht besonders stark animierten Landstrich. Andere Verpflichtungen kann ich nicht haben und keine Lust zu haben, ist beleidigend. Denn das würde heißen, dass ich den Abend lieber alleine als in dieser Gesellschaft verbringe. Dass ich Valérie einfach doof finde, ist nicht vorgesehen. Beides wäre aber zur Abwechslung mal die Wahrheit. Es kommt mir vor, als wäre das nicht mein Problem und ich dürfte sehr wohl Nein, danke sagen. Darf ich nicht, Jean-Michel insistiert weiter und irgendwann gebe ich nach.

- Gut dann hole ich Dich um neun ab.

Eh Merde. Jetzt auch noch Pariser Uhrzeiten. Das bedeutet, dass es erst etwas zu essen gibt, wenn ich eigentlich schon das Nachthemd anziehen sollte. Auch damit umzugehen, habe ich nie gelernt. Ich esse am liebsten zwischen und sieben und acht Uhr abends die letzte Mahlzeit. Meiner Figur bekommt es am besten, wenn ich das um sechs tue. Ich habe also die Wahl, entweder totenblass und halb verhungert dort aufzukreuzen oder vorher etwas zu essen und dann die Mahlzeit nicht zu genießen, weil ich schon satt bin. Dann muss ich pflichtessen, um den Gastgeber nicht zu beleidigen und davon werde ich zuverlässig dick.

An diesem Abend versuche ich es mit einem kleinen Snack und einem Glas Wein. Als Jean-Michel mit eine halben Stunde Verspätung bei mir auftaucht, holt er mich aus dem Tiefschlaf. Ich bin einfach auf der Couch zusammengesackt. Die Tage sind lang und anstrengend, die Nächte unruhig, weil ich mich die ganze Nacht im Schlaf frage, wie ich mein neuestes Abenteuer hier schaffen soll. Als ich aufstehe, merke ich sofort, dass der kleine Snack nicht gereicht hat, dass es vielleicht zwei Gläser Wein waren und dass ich immer noch keine Lust habe. Ich bin völlig unterzuckert, sehe Sternchen und bin sauer, weil Jean-Michel nicht einmal zu einer Einladung, zu der er mich quasi gezwungen hat, pünktlich sein kann.

Das Make-up des 21ten Jahrhunderts hat die späte Siesta überlebt. Ich fühle mich, als wäre ich grün im Gesicht, aber der Spiegel sagt, dass es noch geht. Schwindelig ist mir trotzdem. Bei dem Herrenhaus handelt es sich um ein riesiges Bruchsteinhaus, es ist wunderschön mit großem Garten. Wir treten in eine gigantische Küche ein. Der große Kamin ist noch nicht angezündet, das ist wahrscheinlich Männersache. Es ist also eher kalt, aber es ist trotzdem gemütlich, weil diese Art von Küchen immer so wirken, als käme man gerade von einer Schlacht nach Hause und jetzt gäbe es endlich Ruhe, Sicherheit, Wärme und etwas zu essen. Besonders das mit dem Essen wäre jetzt keine schlechte Idee.  

Valérie trägt die Haare jetzt offen, braun und lockig, sie hat sich in einen langen Stufenrock und ein ausgeschnittenes Oberteil gewandet und gibt heute Abend die Rolle der belle châtelaine, der schönen Schlossherrin. Das bedeutet, dass sie sich bei jeder Gelegenheit graziös dreht und wendet, damit der Rock auch wogen und rascheln kann. Dass es etwas zu essen gibt, bedeutet es leider nicht. Wahrscheinlich hat das Personal Ausgang.

Apéritif gibt es allerdings, noch mehr Alkohol auf leeren Magen. Ein Gespräch, in dem ich nichts zu suchen habe, gibt es auch wieder. Das ist mir jetzt ganz recht, ich bin mir nicht sicher, ob ich meine Zunge noch beherrsche oder ob ich schon lalle. Die üblichen Knabbereien zum Apéritif entfallen aus unbekannten Gründen. Brot steht auch keins rum. Bevor die Panik einsetzt, frage ich nach der Toilette. Die Schlossherrin selbst begleitet mich durch ein kompliziertes System von Fluren. Ich habe Gelegenheit zu bemerken, dass die letzte Renovierung aus den 70er Jahren stammt, äußerst geschmacklos ist und sonst hier alles auseinanderfällt. Sie zeigt mir ihr Zimmer, die Matratze liegt auf dem Boden, weil das Bett auch auseinanderfällt. Mehr sehe ich nicht, der Harndrang ist stärker als die Neugier.

Das Bad ist dunkelbraun und noch hässlicher renoviert als der Rest. Aber das Klo funktioniert, was man von diesem dîner nicht gerade behaupten kann. Als ich wieder in der Küche eintreffe, nachdem ich mich mehrmals verlaufen habe, sieht, über eine Stunde nach unserer Ankunft, immer noch nichts nach Essen aus. Mir reißt der Geduldsfaden und ich melde bei Jean-Michel, dem meine Essenszeiten seit gut zwei Jahrzehnten bekannt sein dürften, Kalorienbedarf an. Ich sehe gebratene Schweinshälften und Bratkartoffeln vor meinem inneren Auge, ich brauche jetzt entweder Fett oder Kohlenhydrate, am liebsten beides, mit Salz und viel davon. Mit Sauce und Brot, gefolgt von einem mächtigen Dessert. Valérie sieht mich an, als sei ich ein ungezogenes Kind, pas de culture ces allemands, immer diese unkultivierten Deutschen. Sie hätte etwas vorbereitet als Beilage, das könnten wir auch gerne schon als Vorspeise essen, bis das Lamm fertig sei.

- Oui, je veux bien.(Gerne.)

Sie lächelt, holt eine Schüssel und stellt sie auf den Tisch.

Darin befindet sich BROCCOLI. Selten wurde ein Gemüse so entsetzt angestarrt.

Sie nennt es Gratin, stimmt, mehrere, etwa fünf Käsefäden spinnen sich zierlich zwischen einigen der Röschen hin und her. Brot gibt es nach wie vor nicht. Da die Küche sehr kalt ist, ist auch der Broccoli sehr kalt. Die drei Gramm Käse auch. Mein Magen fragt, ob ich ihn veralbern will. Ich bitte ihn inständig, jetzt nicht zu rebellieren und sich umzudrehen. Er fragt, warum er das lassen sollte. Zumindest falle ich angesichts dieser Vorspeise nicht durch die unkontrollierte Gefräßigkeit auf, zu der ich jetzt fähig wäre

Ich frage vorsichtig nach dem Lamm. Ja, stimmt, damit könne man jetzt mal anfangen, sagt Jean-Michel, er habe Lammkoteletts gekauft. Er müsse nur noch Feuer machen und wenn das Feuer heruntergebrannt sei, könnten wir sie auf der Glut zubereiten.

Lammkoteletts: super.

Feuer erst anmachen und dann herunterbrennen lassen: ganz schlecht.

Da wir die ganze Zeit weiter Wein trinken, bin ich wahrscheinlich ziemlich betrunken. Als das Feuer brennt, setzt sich Valérie in einer anmutigen Pose neben den Kamin, das Feuer reflektiert sich reizend in ihren Locken. Und ich falle vor Hunger und Müdigkeit fast vom Stuhl.

Mit einer angenehmen Altstimme summt sie eine kleine Melodie und macht ein verträumtes Gesicht. Meines ist angespannt, weil ich das Feuer im Auge behalte. Irgendwann ist es dann so weit. Jean-Michel packt das Lamm aus. Er hat für drei Personen VIER Lammkotletts vorgesehen. Ein Lammkotlett bietet etwa dreißig Gramm Fleisch.

An Käse oder Dessert kann ich mich nicht erinnern. An den Rest des Abends auch nicht.

Den rekonstruiere ich, als ich am nächsten Morgen mit bösen Kopfschmerzen aufwache. Die Nacht war sehr dunkel und auf dem Weg zu meinem Häuschen gibt es eine Stufe. Ich bin darüber gestolpert und habe mich heftig auf die Nase gelegt, denn eine Neumondnacht im Limousin ist einfach tintenschwarz. Da ich von dem Abend in Valéries Küche völlig durchgefroren war, habe ich offensichtlich ein großes Feuer in meinem Kamin gemacht. Den Resten auf dem Küchentisch zu Folge, habe ich auch den Kühlschrank geplündert. Eine Pfanne steht auf meinem Herd, ich weiß nicht mehr, was ich darin zubereitet habe. Es ist alles weg.

Ich erinnere mich, dass ich gegen fünf Uhr morgens aufgewacht bin und einen riesigen, glühenden Holzscheit vor dem Kamin gefunden und in den Kamin zurückbefördert habe. Am Morgen sehe ich, dass der Bodenbelag vor dem Kamin einen dicken Brandfleck hat. Das war der einzige Teil in meiner Hütte, der völlig intakt war. Das Ausmaß meines Ärgers über mich selbst ist so groß wie mein Hunger am Vorabend. Ich würde jetzt gerne etwas gegen die Wand werfen, aber ich besitze nichts, was sich dafür eignen würde. Was den Brandfleck angeht, schäme ich mich bis heute.

Es war nicht der erste Abend, den ich in Frankreich so verbracht habe: als Publikum für eine Selbstinszenierung, aber, und dieser Schwur kommt aus den Tiefen meiner gequälten Eingeweide: Es war ganz sicher der letzte.

Hildegard Wichmann

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