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In den 1990er-Jahren betraten Frauen nicht gerne Werkstätten. Wie es heute ist, weiß ich nicht, ich betrete nur noch Werkstätten, in denen Freunde oder Menschen, die ich ausgebildet hat, arbeiten.

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Photo by Taylor Friehl / Unsplash

Woran es damals lag, weiß ich allerdings sehr genau. Es lag an der Omnipräsenz von Tittenkalendern (für die zarten Öhrchen und Seelchen: für dieses Druckerzeugnis gibt es kein hübscheres Wort). Und es lag an den Blicken, denn man sich aussetzte, wenn man dieses Gebiet männlicher Herrschaft betrat. Brust, Po, Beine, erst abwärts, dann wieder aufwärts, das Gesicht zuletzt, das wird nicht so dringend gebraucht. Frauen wurden also erst einmal auf ihre Eignung als Pornodarstellerin geprüft, bevor man sie als Kundin wahrnahm. Bitte jetzt nicht auf die Handwerker schimpfen. Die letzte Tittenkalender haben Clara und ich in der Berufsschule abgehängt.

Nein, das mit dem Porneignungsblick habe ich mir nicht eingebildet. Ich habe elf Jahre Kfz-Klassen in Deutsch und Wirtschaft unterrichtet und sie einfach gefragt, ob ich das richtig wahrgenommen habe.

-          Normal, oder?

Ich habe es ihnen dann geduldig erklärt.

Da mir im Laufe der letzten 25 Jahre immer wieder Humorlosigkeit in Bezug auf dieses Thema vorgeworfen, wurde, habe ich immer, wenn sich die Gelegenheit bot, Männern die Gelegenheit geboten, mir ihren eigenen Humor zu beweisen.

1994 habe ich das alles entscheidende Praktikum bei Yamaha in Bonn gemacht. Das Werkstattteam war kompetent, humorvoll und sehr nett. Mit einigen aus diesem Team bin ich bis heute befreundet.

An der Wand hing allerdings ein Tittenkalender. Und um es einfach mal auszuprobieren, habe ich in der zweiten Woche einen nackten Mann danebengehängt. Den hatten Clara und ich sehr sorgfältig ausgesucht. Zunächst einmal haben wir festgestellt, dass nackte Männer teurer und seltener sind als nackte Frauen. Ich musste also für über fünf Mark das damals noch existierende Playgirl kaufen.

Ich wollte nicht sofort rausfliegen, also haben wir auf primäre Geschlechtsteile verzichtet. Der hübsche Junge wandte uns also seinen muskulösen Rücken und seinen hübschen Po zu. Und am Montag wandte er das gleiche der Belegschaft und der Kundschaft von Yamaha zu. In der Frühstückspause hatten sich dann alle vor dem Bild versammelt.

-          Der ist bestimmt schwul, meinte einer der Azubis, der sogenannte Bucklige. Er war so groß, dass er sich bei der Arbeit über den Motorrädern zusammenfalten musste, daher der Spitzname.

-          Der ist einfach hübsch und braucht Geld, meinte ich.

Nachdenkliches Kauen. Es herrscht eine Atmosphäre zwischen Grinsen und Unbehagen. Wir mochten uns und ich glaube, so richtig einordnen konnten sie meine Aktion nicht. Aber die Frage, ob SIE hübsch genug wären, um auf die gleiche Weise Geld zu verdienen, hing im Raum.

Wir sind wieder an die Arbeit gegangen und den Rest des Tages wurde der junge Mann ignoriert. Am nächsten Tag war er weg. Der Tittenkalender hing noch. Ich habe den Werkstattmeister nach dem Verbleib des Jünglings gefragt. Das habe der Chef so entschieden. Der Vorname des Chefs beginnt mit G und in der Werkstatt wurde er der G-Punkt genannt, weil er bei der Unterschrift seinen Namen abkürzte.

-          Das hat der G-Punkt so entschieden.

Ob es eine Begründung gegeben habe? Der Chef hätte gesagt, die Kunden könnten sich von dem Bild gestört fühlen. Die entscheidende Gehirnzelle, die ihm mitgeteilt hätte, dass auch KundINNEN sich vom Anblick von Geschlechtsteilen gestört fühlen könnten, wenn sie ihr Moped zur Inspektion bringen, hatte frei. Den Ausbildungsplatz bei Yamaha habe ich nicht bekommen.

Gerächt hat es sich trotzdem. Anfang des Jahrtausends brach der Motorradmarkt ein. Die große Mode war vorbei. Honda, mein Ausbildungsbetrieb, machte zu, Yamaha schloss die Filiale in Bonn, der Kawasaki-Händler in Bonn ging bankrott. BMW verkaufte fröhlich weiter Motorräder, bevorzugt an Frauen. Die hatten ein bisschen früher begriffen, dass Bank nicht finden, dass an 10.000 DM von einer Frau blöde Mädchenbazillen kleben.

Und noch einmal die Bitte: Schimpft nicht über Handwerker. Aus meinem Traumjob als Mechaniklehrerin weggeekelt hat mich ein Mann mit zwei Staatsexamen und einer Latte von Beförderungen, der unter der Aufsicht der Bezirksregierung eine Schule auf dem Mars schrottet.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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Bonn