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Eine gerne gestellte Frage am Anfang ist, ob ich mich nicht alleine fühle auf dem französischen Land in dem kleinen Pissnest. Die Frage ist völlig berechtigt und die Antwort ist nicht immer die gleiche.

Manchmal lautet sie ganz banal: Doch, das kommt vor.

Manchmal lautet sie: Zum Glück sind Menschen, die gerne lesen, niemals ganz allein.

Manchmal lautet sie: Ich brauche diese vielen Stunden um mit der Tatsache fertig zu werden, dass mich jemand mobbt, dem ich sehr vertraut habe und der in der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich ist. Doch davon mehr, wenn ich aus Absurdistan erzähle, einer Provinz auf dem Mars, in der ich elf Jahre gelebt habe.

Wenn man als Ausländer oder Großstädter so ein Landhäuschen kauft, muss man sich irgendwann die Frage stellen, ob man es mit oder ohne die Leute vor Ort machen will. Ich erinnere mich an den Abend am Kamin, als ich mich entschieden habe. Ich möchte es mit ihnen machen. Nach dieser Entscheidung war ich nicht eine Sekunde mehr allein. Ich habe es nur nicht gleich verstanden.

Einen Kontakt hatte ich sehr früh, Maurice, ein junger Mann, der sich um mein Grundstück kümmert. Die Hütte ist schon sehr arbeitsintensiv, 800 Quadratmeter Garten schaffe ich nicht auch noch.

Im ersten Winter bekomme ich meine erste Einladung zum apéririf  und nehme sie an. Ich bin bei den Nachbarn gegenüber, Jacques und Martine. Sie sind freundlich, anteilnehmend und hilfsbereit. Ich darf sogar zum Essen bleiben.

Einladungen sind gestaffelt: Café 30 Minuten, Apéritif 60 Minuten, Essen heißt nach dem Kaffee gehen, spätestens um halb elf. Die Intensität des Kontaktes wird dadurch definiert, wie man Einladungen annimmt und erwidert.

Als mein kleines Sozialleben einmal angelaufen ist, merke ich, dass ich in ein Helfersystem integriert worden bin, von dessen Existenz ich nichts wusste.

  • In Frankreich gibt es keinen Sprit mehr, weil die Häfen bestreikt werden?
  • Ich habe noch roten Diesel, den kannst du haben.
  • Das Feuerholz geht zur Neige?
  • Meins liegt dahinten, nimm dir, was du brauchst, es ist doch kalt.

Einen Schlüssel für die Hütte habe ich in Bonn nicht, der ist in Mon Village besser aufgehoben. Ich sage Bescheid, wann ich komme. Dann brennt bei meiner Ankunft ein Feuer im Kamin und gelüftet ist das Häuschen auch. Jean-Paul hilft mir auch gerne. Ich habe ihn gebeten, bei meiner Abfahrt die Reste meines Kühlschranks zu übernehmen. Das erspart mir, Lebensmittel wegzuwerfen und eine Planung, die mich zwingt alles aufgebraucht zu haben. Wenn die Reste zu spärlich sind, kaufe ich etwas dazu. Fließend Wasser hat Jean-Paul seit 2008, Strom seit 2012. Das Wasser kommt durch einen blauen Schlauch direkt in den Raum, der Schlauch hat ein Absperrventil. Das war's. Wir wissen alle nicht, comment il fait.

Manchmal mache ich es meinen Nachbarn nicht leicht mir zu helfen. Geholfen wird aber auf jeden Fall, auch wenn man sich etwas einfallen lassen muss. Im Sommer 2012 stehe ich morgens auf und knickt gleich wieder zusammen. Mein alter Bandscheibenvorfall meldet sich. Ich kenne diesen Schmerz und werde mich jetzt ein paar Tage nicht oder kaum bewegen können.

Es ist ein strahlend schöner Sommer und ich liege wie ein toter Käfer auf dem Rücken im Bett und lese. Wenn ich hungrig oder mutig genug bin, krieche ich unter großem Aufwand auf allen vieren Richtung Küche und bin dann froh, wenn ich wieder im Bett bin. Ich glaube, Käfer haben mehr Spaß. In drei Tagen kommt mein Freund Heiner. Wir smsen, welche Medikamente und wie viele er mitbringt, er tröstet mich auf Distanz und tut mir gut. Währenddessen läuft draußen eine Maschine an, von der ich nichts weiß.

Jean-Paul wartet auf mich. Mein guter Freund Heinz hat ihn Eckensteher getauft und Jean-Paul tritt jeden Morgen pünktlich um sieben zum eckenstehen an.Kurz danach komme ich mit meinem Kaffee in irgendeinem Kleidchen in den Garten winke und grüße. Jacques ist schon nebenan in seinem Gemüsegarten am Werk. Wir drei sind immer die ersten.

Heute fehle ich unentschuldigt. Gestern habe ich eine blaue Hortensie für meinen Kräutergarten gekauft und sie an die Stelle gestellt, wo ich sie einpflanzen möchte. Sie fällt im Laufe des Tages um und Jean-Paul fällt eine Entscheidung. Er sucht Maurice auf um das Problem zu besprechen.

Die Menschen im Limousin haben das feinste Gefühl für Distanz und Nähe, das ich jemals kennen gelernt habe. Der Satz Chabaz d'entrar, der im Heimatmuseum mit Willkommen übersetzt wird, heißt eigentlich: Beende dein Eintreten. Denn Eintreten oder Besuchen hat mehrere Phasen.

Phase 1: Der Hund bellt. Der Besucher weiß noch nichts, weiß aber, dass jemand sich nähert.

Phase 2: Der Besucher wird sichtbar, er erscheint am Gartenzaun und grüßt.

Phase 3: Durch Winken oder Kopfnicken wird er autorisiert, das Gartentor zu öffnen und den Garten zu durchqueren.

Phase 4: Chabaz d'entrar ist dann die Erlaubnis über die Schwelle ins Haus zu kommen.

Man latscht nicht einfach bei den Leuten rein und schon gar nicht zwei Männer in das Haus einer Frau. Also müssen Jean-Paul und Maurice rüber zu Jacques und Martine, die das Problem angemessen ernst nehmen. Martine wird beauftragt, nach mir zu sehen. Sie ist nicht eingeladen und kann sich nicht ankündigen oder bemerkbar machen. Es gibt nur einen sozialen Universalschlüssel, der ihr meine Tür aufschließt und das sind: zwölf Eier.

Und so steht sie am nächsten Morgen mit einem Dutzend Eier vor meiner Küchentür und klopft. Ich bin sehr froh, sie zu sehen. Sie macht Kaffee, wir plaudern und schicken Maurice zur Apotheke. Zwei Tage später kann ich die Hortensie einpflanzen und mir sicher sein: Hier werde ich gefunden.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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