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Ich stehe im Telefonbuch.

Irgendwie scheint es ihm wichtig, dass er meine Kontaktdaten bekommt. ER heißt Werner und ist ein Kollege, der meinen Weggang zu bedauern scheint. Ich bin wie immer ich, zu dem Zeitpunkt 38,9 Jahre alt und ich habe gerade keine gute Phase. Wieder einmal verlasse ich den Schuldienst und dieses Mal kostet es mich die Verbeamtung.

Aber ich kann es nicht ändern, es ist einfach schrecklich an dieser Schule. Beim Abschied von einer meiner Klassen erscheint Werner überraschend, schiebt sich in den Vordergrund und überreicht mir mit ausladender Geste eine CD mit Cello-Quartetten von Bach, die er zum Abschied für mich zusammengestellt hat. Sie ist gewidmet und er liest die Widmung laut vor.

Ich bin verdutzt, die Klasse ist es auch; ich hatte in der Zeit, die ich hier gearbeitet habe, eigentlich überhaupt nichts mit ihm zu tun. Am Ende habe ich diese CD in der Hand und ihm mitgeteilt, dass ich in Bonn leicht zu finden bin.

Ich kann mich gar nicht erinnern, dass wir uns besonders gut verstanden haben, bei den zwei Flurtalks, die wir hatten. Früher hätte ich einfach gefunden, dass er nicht mein Typ ist und basta. Aber, et voilà, ich bin gerade bescheiden am werden, wie man bei uns im Rheinland sagt und finde also: Wenn dir jemand seine Freundschaft anbietet, freu dich doch erstmal.

Aber zunächst habe ich Geburtstag und dann Rückenschmerzen. Zudem kaue ich auf einer alten Liebesgeschichte herum und komme weder drüber weg noch dran vorbei. Das Leben kann so schön sein bei zehn Grad und Regen im Rheinland. So wird es Anfang April, aber nicht Frühling. Frühling wird es in diesem Jahr überhaupt nicht.

Er hatte zügig angerufen. Ich quatsche ihm eine verspätete Antwort auf seine Mailbox und er meldet sich am nächsten Tag. Ob wir uns übermorgen treffen wollen?

-       Gerne, wann und wo?

-       Du bist die Bonnerin, sag du was.

-       Gut, wie lange hast du Unterricht.

-       Bis halb drei.

-       Also dann um drei am Beethoven?

-       Wo ist der denn?

Wie kann man in Bonn nicht wissen, wo der Beethoven ist? Das ist, als würde man in Paris die Seine nicht finden.

-       Ja, sag doch mal, wo muss ich denn da hin?

-       Wo willst du denn parken?

-       Das weiß ich noch nicht.

-       Dann frag dich durch, den kennt hier jeder.

-       OK.

Ich bin pünktlich, weil ich Zeit habe und weil ich das gerne bin. Werner kommt mit etwas Verspätung auf mich zugehastet. Er hat am Bahnhof geparkt, er hat Geld für eine ganze Stunde investiert, sich durchgefragt und wir haben jetzt also noch etwa 51 Minuten Zeit, um entspannt zu plaudern. Das ist genug Zeit, um herauszufinden, warum er mich so gerne treffen wollte.

Da ich immer noch die Bonnerin bin, soll ich sagen, wohin wir gehen. Na ja, jetzt mal besser schnell als schön denke ich mir und trabe los.

Werner ist erheblich größer als ich, er trägt einen Wildlederblouson, hat mit entspannten Schultern die Hände in den Taschen seiner Jeans. Der ganze Look ist nicht mehr up to date, aber er steht ihm. Sein Blick schweift lässig über die Köpfe der Passanten und da er gar nicht darauf achtet, wohin ich, die ich vorgehen soll, mich bewege, passiert es. Er driftet nach links ab. Ich verhindere das nicht, warum auch, es ist nicht meine Ideallinie. Als wir dann zusammenstoßen, kuckt er mich halb ärgerlich halb erstaunt an und ich kucke mit meinen unschuldigsten grünen Augen zurück. Wir schaffen es dann ohne weitere Unfälle ins Café. Ich bestelle Cappuccino, er Kaffee und Apfelkuchen.

-       Rheinischen oder französischen? Mit oder ohne Sahne?

-       Rheinischen natürlich und möt Sahnöh.

Jetzt macht er unschuldige Augen und sieht die weibliche Bedienung mit verschmitztem Kinderblick und Schmollmund von unten an. Das Gesamtbild kommt ein bisschen komisch rüber, der Typ ist gut über fünfzig.

Er eröffnet das Gespräch.

- Also du hast an der Schule aufgehört, weil Du nach Berlin möchtest?

Na ja, eigentlich nicht, aber als offizielle Version ist mir das ganz recht. Da wir nun aber hier sind, um uns kennen zu lernen, erzähl ich ihm kurz, so kurz wie ich kann, was tatsächlich passiert ist. Schon nach dem zweiten Satz habe ich das Gefühl, dass er nicht zuhört. Wieder schweift sein Blick.  Also spreche ich in der Mitte des dritten Satzes immer leiser und höre dann ganz auf. Ich kann diese Technik empfehlen, wenn man das Gefühl hat, dass das Gegenüber nicht zuhört, auch wenn sie sehr ernüchternd ist und das Ergebnis häufig wenig schmeichelhaft ausfällt.

Nach etwa zwei Minuten fällt ihm auf, dass von meiner Seite des Tisches keine Geräusche mehr kommen und er sieht mich fragend an.

Gut, reden wir über ihn. Das ist immer eine Bank.

Ich muss mit dem Rauchen aufhören und er hat erzählt, dass er früher auch geraucht hat. Das tut er nicht mehr, also hat er irgendwann aufgehört, richtig? Einen guten Rat in dieser Beziehung könnte ich gut gebrauchen.

-       Wie hast du das gemacht, bitte erzähl doch mal.

  • Ich hatte eine Vene am Bein, die konnte unterscheiden, ob ich gerade mit oder ohne Filter rauche. Da habe ich aufgehört.

Gut ok, das ist die Antwort auf die Frage Warum, ich brauche ein Wie. Ich insistiere.

-      Einfach so, von einem Tag auf den anderen.

Mist, das hilft mir nicht weiter, ich weiß, dass ich das nicht kann.

three cigarette butts on ashtray
Photo by Sara Kurfeß / Unsplash

Ich rauche seit ich vierzehn bin und ich rauche viel. Ich frage ein bisschen weiter, in der Hoffnung, er wäre vielleicht nicht so süchtig gewesen wie ich, aber wie es aussieht war er es. Seit wir hier sind, habe ich schon drei Zigaretten geraucht.

Die Zeit ist um, das Parkticket läuft ab. Er lädt mich ein, so von Beamter zu arbeitslos. Wir wandern, dieses Mal parallel, zum Bahnhof, wo er noch eine Stunde kauft. Für die zweite Runde entscheiden wir uns für das Café mit Blick auf den Parkplatz und gewinnen dadurch Zeit.

Die Cassius-Bastei ist ökologisch völlig korrekt, Nichtraucher und mit Selbstbedienung. Er lässt mich die Cappuccinos holen und bezahlen. Und worüber reden wir jetzt?

Da die Zeit schon wieder läuft, entscheide ich mir für die direkte Variante.

-       Warum wolltest du mich eigentlich treffen?

Werner grinst.

-       Du bist anders als die anderen Frauen im Kollegium.

-       Aha?

-       Ja weißt du, wir haben unheimlich viele nette Frauen da. So bist du nicht.

Ich weiß, was er meint. Die Formulierung ärgert mich trotzdem. Ich bin nicht dem klassischen Parcours der Deutsch-Französisch-Lehrerin gefolgt, sondern habe nach dem zweiten Staatsexamen eine Lehre im Handwerk gemacht. Meine Stimme ist tief und ich rauche. Also gelte ich immer als tough, handfest, patent oder so etwas. Diese Einschätzung wird ungefragt und ungeprüft mitgeteilt und bleibt dann auch so. Gelegentlich schiebt jemand noch die 'wilde Hilde' hinterher und findet das irre komisch.

Er schließt an:

-       Du hast so etwas Proletarisches mit einem Hauch Intellektualität.

Nach zehn Sekunden Sprachlosigkeit erkundige ich mich:

-       Wie wäre es mit umgekehrt?

Ich war schließlich zuerst Lehrerin, dann Mechanikerin.

Jetzt freut er sich wirklich und er strahlt mich an

-       Das hat dich jetzt wirklich getroffen, oder?

Ich lasse ihm die Freude.

-       Außerdem ist da eine gewisse erotische Anziehung.

Photo by Jon Tyson on Unsplash

Jetzt weiß ich wenigstens Bescheid. Der Typ will Sex. Wenn aber das hier eine Verführungsszene sein soll, dann gibt es Abzüge in der A- und in der B-Note.

-       Aha.

Entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten bin ich recht wortkarg. Jetzt will er wissen, wie ich wurde, was ich bin. Also proletarisch mit einem Hauch... Ich wäre ja immer noch lieber intellektuell mit einem Hauch...

Zehn Minuten weiß er, woher mein keine-nette-Frau-Touch kommt. Ich frage zurück und erfahre einiges aus seinem Leben. Seine Frau ist zwanzig Jahre jünger und genervt. Das ist seine Wortwahl. Er zeigt mir Fotos. Sie ist sehr attraktiv. Sie wohnt mit drei sehr kleinen Kindern in einem Fachwerkhaus fast eine Autostunde von Bonn entfernt. Er zeigt mir Fotos. Frau hübsch, Kinder hübsch, Haus hübsch. Oberidyllenhausen. Warum er mir die Bilder zeigt, weiß ich nicht. Wenn das hier ein Verführungsszenario sein soll, funktioniert es gerade nicht.

Aber wir haben fast zwanzig Minuten lang tatsächlich so etwas wie ein Gespräch zustande gebracht. Wieder meldet sich das Parkticket.

-       Soll ich noch mal verlängern?

-       Nein, aber ich begleite dich noch zum Auto.

-       Küsst du mich dann?

-       Nein.

-       Sag Bescheid, wenn du in Berlin bist, dann komm ich mal vorbei.

Och. Nö.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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