Meine SuS haben in den letzten fünfundzwanzig Jahren viele kleine Geschichten in meinem Nervenkostüm hinterlassen. Zwei davon möchte ich euch heute erzählen.
Lernziel mit Mühe erreicht
Ich habe in der Schule auf dem Mars, die nicht existiert und die ich mir zu Bespaßung meiner LuL ausgedacht habe, elf Jahre lang fachfremd Politik und Wirtschaft unterrichtet. Am Anfang, weil es eine Notwendigkeit war, im weiteren Verlauf, weil ich sehr gerne gemacht habe.
Die Art von Schule, von der ich erzähle, läuft auf dem Mars vollkommen unter dem Radar. Eine Schule für interstellarfahrzeugtechnische Berufe. Es interessiert eigentlich keinen, was man in den allgemeinbildenden Fächern so macht, solange sich niemand beschwert und diese Freiheit habe ich sehr genossen, um das zu machen, was ich für sinnvoll hielt. Ich habe eine Unterrichtseinheit geschrieben, die Ein Leben auf unserem Planten hieß und in der sich die SuS für ihre Zukunft als junge Berufstätige einen Finanzplan schreiben mussten. Im Regelfall kamen sie zu dem Ergebnis, dass sie in einem Haushalt mit ihrer ebenfalls berufstätigen Freundin finanziell gut klarkamem. Dann habe ich eine Ereigniskarte gezogen, das Baby kam und sie mussten den Haushalt noch einmal ausrechnen. Das erwies sich häufig als sehr ernüchternd. Wir haben reichlich gelacht, 33 Marskarosseriebauer, die sich darüber streiten, ob die Windeln in Deutschland oder in Holland billiger sind, sind einfach heartbreaking.
Innerhalb dieser Einheit müssen sie auch ausrechnen, wie hoch die Kosten für Lebensmittel in einem Monat für ihren Haushalt sind. Dazu müssen sie drei Mahlzeiten planen und die Kosten auf 30 Tage hochrechnen. Francesco weigert sich alle Zahlen zu berücksichtigen und begründet das mit den Worten:
Aber Frau Wichmann, Nudeln und Tomatenmark hat man doch im Schrank.
Es braucht noch einige Minuten um ihn davon zu überzeugen, dass Lebensmittel nicht in Schränken wachsen. Aber mit vereinten Kräften machen wir ihm klar, dass diese Lebensmittel von jemandem eingekauft und diesem Schrank deponiert wurden. Und dass das Geld dafür vorher von jemandem verdient werden musste. Und dass, wenn man diese Lebensmittel herausnimmt, keine mehr da sind, bis wieder jemand neue kauft von Geld, das jemand verdient hat. Und dass jemand sie dann in die Wohnung tragen und in den Schrank räumen muss.
Er schaut ungläubig und ein bisschen wie jemand, der gerade erfahren hat, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Ein bisschen wie jemand, der an die magischen Kräfte seiner Mutter glaubt, Lebensmittel einfach durch Liebe und Willenskraft zu generieren. Und es gefällt ihm nicht, dass so ein nüchterner Prozess dahinter steht.
Es dauert eine ganze Weile, aber an diesem Tag hat Francesco in der Schule wirklich etwas gelernt. Auch wenn es ihn einen Teil seiner Kindheit gekostet hat.
Lernziel mehr als erreicht
Lukas und sein Freund sind in einer vorberuflichen Klasse. Häufig sind in diesen Klassen die SuS sehr unsicher über die Frage, wie es weitergehen soll. Um ihnen ein bisschen Hilfestellung zu geben, rate ich ihnen, ihre Verwandschaft zu befragen. Wen empfinden sie als zufrieden? Wer hat ein Leben, das sie sich auch vorstellen können? Wie sind die Verwandten dorthin gekommen? Welche Schwierigekeiten haben sie überwunden und wie?
Was mir Lukas und sein Freund eine Woche später erzählen, macht mich sprachlos: Sie sind in unserer Stadt ins Villenviertel gegangen. Sie haben sich ein großes Haus ausgesucht und ein fettes Auto.
Sie haben meinen Rat sehr frei interpretiert und einfach mal geklingelt. Der Besitzer kam ans Tor und dem haben sie erzählt, ihre Lehrerin hätte sie geschickt. Sie sollten herausfinden, wie er an das Haus und das Auto gekommen sei.
Zum Glück hatte der Typ Humor. Er hat sie auf seine Terrasse gebeten, ihnen eine Cola ausgegeben und seine Geschichte und das, was sie daraus lernen können, erzählt. Dass er Gerüstbauer gelernt habe, aber mit dreißig schon zwei Angestellte gehabt hätte. Dass das nötig sei um wohlhbend zu werden. Wie er seinen Betrieb gegründet und zum Erfolg geführt hat. Er hat sich zwei Stunden für sie Zeit genommen.
Die beiden sind noch völlig verstrahlt, als sie erzählen, sie können es selbst kaum glauben. Und sie sind seit diesem Tag wie ausgewechselt. Denn sie müssen ja mit dreißig zwei Angestellte vorweisen....
Liebe Leserinnen und Leser. Ich danke euch. Ihr habt in diesem Jahr, seit der Blog existiert, mein Leben schöner gemacht durch alles, was ihr dazu gesagt habt. Habt ein gesegnetes Weihnachtsfest mit den Menschen, die ihr liebt.