Ein Landei kullert durch die Welt

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Die 1990er Jahre haben grauenvolle Folgen für den Arbeitsmarkt gehabt. Ständig wurde erwartet, dass man mehr macht und noch mehr. Alle, die ich kenne, haben eigentlich auch gerne gearbeitet. Bis der Workaholic zum Normalfall wurde, den Arbeitnehmern gar nichts mehr gegönnt wurde und die Arbeitgeber den Hals einfach nicht mehr voll bekamen. Wir sollten alles freiwillig machen, am liebsten un- oder unterbezahlt.

Photo by Jp Valery / Unsplash

Mein Paradebeispiel kommt lustigerweise vom Staat. Gegen Ende meiner Laufbahn an der Schule auf dem Mars flatterte von Seiten der Kultusministerkonferenz eine Aufforderung in mein Fach. Fremdsprachenlehrer sollten einen Monat lang an einer französischen Schule hospitieren. Reisekosten würden nicht übernommen. Aha. Fängt ja schon gut an. Ich kaufe also hochbesteuerten Sprit von meinem schon versteuerten Geld und fahre dann im Namen meiner Republik nach France. Eine irgendwie geartete Zusatzvergütung war auch nicht vorgesehen.

Andererseits sollte es im November stattfinden und ich wollte im Juli die Schule verlassen. Also habe ich den Antrag ausgefüllt und mir Limoges (kann ich in MonVillage wohnen), Guadeloupe (ist ja schließlich November, warum nicht Karibik) und Paris gewünscht (Paris geht immer). Die Zusage kam schnell. Zugewiesen wurde ich einer Schule im Süd-Westen von Paris in einem schnieken Vorort südlich von Versailles.

Ich bekam die Email-Adresse der französischen Kollegin, die mich aufnehmen sollte und stellte den Kontakt her. Meine Erfahrungen mit aufnehmenden Kollegin in Frankreich waren bis dahin ausgezeichnet. Fantastisches Essen, erstklassiger Wein, Familienanschluss und jede Menge Spaß. Und ich habe sie auch gerne bei mir aufgenommen und versucht so zu verwöhnen, wie sie mich verwöhnt hat.

Die Antwort kam schnell, war kurz und enthielt folgende Information: Sie habe sich 30€ am Tag vorgestellt. Oups. Eine Nachfrage bei der KMK ergab, dass ich das selbst bezahlen sollte. Also habe ich meinen Taschenrechner genommen. Und wieder weggelegt. 30 Mal 30 kann ich im Kopf. 900€ + mindestens noch einmal 100€ Benzin, wenn ich das Auto mitnehme. Die Kosten in Deutschland laufen, bis auf Ernährung, alle weiter. 1000€ fürs Vaterland. Das kann man sehr schön ablehnen.

Als ich in der Schule darüber herumgenölt habe, war die Antwort:

  • Wieso, das ist doch wie Freizeit.

So etwas sagen nur Personen, die noch nie Austausch gemacht haben oder ihn schlecht machen.

Meine Antwort Nummer 1 ist: In meiner Freizeit bin ich im Schwimmbad.

Nummer 2: Nach dem Zeitplan einer Schule in dem Haushalt einer Person, die ich nicht kenne, zu leben ist nicht entspannend. Es ist Arbeit.

Nummer 3: Wer Austausch kennt und gut macht, weiß, wie anstrengend das ist. Die Arbeitstage sind sehr lang und man muss sehr wach sein. Auch wenn es ein Austausch ohne Schüler ist.

Ich habe der Kollegin in Frankreich abgesagt. Sie war unangenehm berührt und schrieb, darüber hätte man doch reden können. Nein, hätte man nicht, weil das Grundprinzip schon falsch war.

Der KMK habe ich mitgeteilt, wie sie erfolgreich die Bereitschaft, meine Komfortzone zu verlassen, gekillt hatte. Und dass ich Schwierigkeiten sehen würde mittel- und langfristig motivierte Fremdsprachenlehrer für so einen Quatsch zu finden. Ich war verbal ein bisschen vorsichtiger, in der Sache aber deutlich. Mein Gegenüber bei der KMK war klasse: Sie schrieb, dass ihr das äußerst peinlich sei, dass Austausch so ja eigentlich nicht gedacht sei und dass sie es sehr bedauere.

Ich habe dann 1000€ in eine neue Küche in MonVillage investiert und freue mich in allen Ferien daran.

Und der Bundesregierung rate ich, ihre Konzepte mal zu überdenken. Den Franzosen auch, sie dürfen mich gerne einladen. Und wenn es eine ECHTE Einladung ist, dann komme ich auch.

Photo by Henri Lajarrige Lombard / Unsplash

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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