Ein Landei kullert durch die Welt

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In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre besuchen wir Iris in Palermo. Palermo ist ein schönes Wort. Viel schöner als Heimerzheim.

Photo by Kadir Celep / Unsplash

Clara und ich sind albern wie immer, freuen uns auf Iris und sind äußest schlecht vorbereitet. Es ist Frühling und wir sind bereit, uns auf Sizilien vor der glühenden Hitze zu schützen. Leider ist es arschkalt. Iris wohnt in einem malerischen Barockpalast, der sich mit seinen dicken Mauern große Mühe gibt uns vor der mörderischen Hitze zu schützen. Ihre Wohnung ist sehr schön, irisgemäß hinreißend eingerichtet und würde auch als Filmkulisse taugen. Und es drinnen kälter als draußen.

Wir wollten das Gastgeschenk vor Ort nach Bedarfslage einkaufen und so wird es ein Heizlüfter aus einem örtlichen Warenhaus namens Upim. Wieder ein Grund zu kichern. Abends ziehen wir alle unsere Klamotten an, versammeln uns um den Heizlüfter quatschen ein Loch in den Tisch. Alle versuchen den Kater anzulocken. Er trägt auf Grund körperlicher Merkmale den Titel Il Gatto Massimo und wer ihn auf dem Schoß hat, dem ist warm.

Um Iris' Gastfreundschaft und ihre hervorragende Kochkunst zu ehren, erbreche ich in der Nacht das Abendessen auf die Fliesen, mit denen auch die Borgias zufrieden gewesen wären. Ich vertrage leider nicht immer alle Meeresfrüchte. Dummerweise weiß ich nie im Voraus, wann welche nicht. Miesmuscheln gehen, Venusmuscheln nicht? Die Ferien laufen also völlig rund.

Iris muss auch arbeiten, also planen wir Ausflüge. Corleone ist auch ein schöner Name und der Ort kommt in Filmen vor. Und übersetzt heißt er Löwenherz. Hach, romantischer geht es doch nicht, oder? Wir mieten ein Auto. Im Reiseführer steht, dass in Italien rote Ampeln eine freundliche Empfehlung sind. Das stimmt.

In der Erinnerung waren es 80 Kilometer, aber ich habe es gerade nachgeprüft, es sind nur 60 Kilometer Richtung Inselmitte. Es könnte mit der Landschaft zu tun haben, dass es mir länger vorkam.

Sicilian desert
Photo by Stefano Campisi / Unsplash

Was sagt uns Wikipedia über Corleone:

In der Gegend von Corleone bildete sich ein Clan der sizilianischen Cosa Nostra, der viele Mitläufer hatte, die heute als Corleonesi bezeichnet werden. Einige der bekanntesten Mafiosi wurden hier geboren:

Viele Mafiosi wanderten nach Amerika aus, um dort ihre Geschäfte weiterzuführen. Im Kampf um die Macht in der Stadt Corleone wurden nach dem Zweiten Weltkrieg an die 300 Morde im Auftrag des Clans begangen. Am 11. April 2006 wurde Bernardo Provenzano, Kopf der sizilianischen Mafia, nach über 40 Jahren auf der Flucht in der Nähe Corleones festgenommen.  (Zitat Ende.)

Ist ja klar, dass die kleine Clara und die kleine Hilde da unbedingt hin müssen, mitten in der heißen Phase, mitten in den 1990ern.

Wir parken das Auto und machen einen Spaziergang. Er macht überhaupt keinen Spaß. Corleone ist hübsch, aber wir sind alleine. Auf den Straße und Gassen ist niemand. Gardinen bewegen sich leicht, ab und zu huscht hinter einem Haus ein schwarzer Schatten von A nach B, wir vermuten, dass es sich eine Frau handelt. Wir fühlen uns beobachtet und äußerst unwillkommen. Wahrscheinlich stimmt beides. Da wir aber ziemlich bockig sein können, möchten wir noch zwei Dinge erledigen, bevor wir nach Palermo zurückkehren. Eine Postkarte schreiben und einen Kaffee trinken.

Die Donna in dem düsteren kleinen Geschäft fertigt uns mit einem Wort ab:

Domani. Morgen

Klingt schöner als Raus hier, heißt aber das Gleiche.

Sie erinnert mich an die Schwester des Gastwirts in Asterix auf Korsika.

Ihr Bruder sagt: Bring Brot und Wein, aber nicht von dem Zeug für die Gäste.

Sie sagt: Ja.

Der Bruder: Immer noch schön, aber geschwätzig wie eine Elster.

Gut dann eben Kaffee trinken.

Es sieht aus, als wäre in dem Café die gesamte männliche Bevölkerung des Ortes versammelt. Und alle kleben sie an der Scheibe. Und wir stehen davor.

Naaaaaaaaaa, traut ihr euch?

Wenn einen Musik zu diesem sehr langen Moment passt, dann diese:

Der Film heißt Spiel mir das Lied vom Tod. Und uns wird langsam klar, dass wir uns nicht in einem Film befinden, sondern in der Realität. Wir stehen im Geburtsort der Mafia vor einem Café mit hundert Männern und fragen uns, ob wir es betreten sollen. Wir haben das Café nicht betreten. Hätte jemand entschieden uns verschwinden zu lassen und zum Spaß irgendwo zu verkaufen, wäre das wohl ein Problem gewesen.

Der Rückweg ist sehr schweigsam und ich bin nicht stolz auf diese Geschichte. Ich bin froh, dass ich nicht meine Tochter bin. Dann müsste ich mir eine runterhauen.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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