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Winter 2012

Heiner kommt oft und gerne nach Mon Village. Und ich freue mich, dass jemand außerhalb der Sommerferien kommt. Die sind natürlich die schönsten. Außer Ostern, denn hier den Frühling kommen zu sehen ist etwas Besonderes. Und außer den Herbstferien, der Saisonwechsel macht so schönes Licht und spektakuläre Sonnenuntergänge. Und natürlich außer den Winterferien, denn eine Ruhe wie hier findet man sonst nirgendwo. Und vielleicht ist niemand so verknallt in Mon Village wie ich.

Jedenfalls habe ich in diesem Winter Besuch. Heiner und ich haben seit seinem ersten Besuch hier einen Deal. Ich kaufe ein und koche, er meckert nicht über das Essen und spült. Er meckert tatsächlich nicht über das Essen. Ich habe sogar den Eindruck, dass ihm die französische Art des Essens immer besser gefällt. Aber er meckert über das Spülen. Zu dem Zeitpunkt habe ich noch keinen Durchlauferhitzer, wir machen das Spülwasser im Wasserkocher. Ich verbrauche für seinen Geschmack zu viele Töpfe und Pfannen, rühre zu viele Saucen.  An einem Abend meckert er nicht…

Habe ich schon gesagt, dass ich französische Supermärkte liebe? In diesem Winter gibt es zu Sylvester in den Kühltheken lustige Kartons. Darauf abgebildet sind ein mehr oder weniger berühmter Koch und ein Menu. Je berühmter desto teurer und desto mehr Gänge. Es gibt die Kartons für 9,90€ (Vorspeise, Hauptgericht), für 16,90€ (Vorspeise, Hauptgericht, Dessert)  und für stolze 27,90€ (Zwei Vorspeisen, Hauptgericht, Dessert). Wir haben Lust, das teuerste auszuprobieren, sind aber zu geizig. Für diesen Preis kann man hier in der Gegend schon sehr ordentlich essen gehen. Also hoffen wir gemeinsam, dass der Krempel nach Sylvester in der Angebotstheke landet und wir haben Glück. Ab dem ersten  Januar gibt es ein 2-für-1-Angebot und wir greifen neugierig zu.

Als wir am Abend, gespannt wie zwei Kinder zu Weihnachten, den ersten Karton eröffnen, sind wir froh, dass keine Kamera mit Selbstauslöser darin ist: Die totale Enttäuschung und zwei dumme Gesichter. Ich weiß nicht, ob ich den Koch persönlich oder einen festlich gedeckten Tisch erwartet hatte, aber auf eine Ansammlung von Plastiktütchen mit der Anmutung von Astronautennahrung war ich nicht gefasst. In einem Outdoorladen wird Essen auch nicht hässlicher präsentiert. Bei näherer Betrachtung und ein bisschen Nachdenken und Bequatschen, erschließt sich, dass eigentlich nichts anderes darin sein konnte. Das Bild auf dem Deckel hat uns in die Irre geführt. Nur das Dessert, ein Minikuchen, hat eine andere Präsentationsform. Außerdem sind noch ein paar hübsche Accessoires dabei. Zwei leere Jakobsmuscheln und zwei Porzellanschälchen. Ehrgeiz und Spieltrieb sind geweckt, ich habe schließlich einen Gast zu verwöhnen.

Heiner deckt liebevoll den Tisch und ich studiere und übersetze die Betriebsanleitung. Es wird immer abwechselnd etwas im Tütchen in heißem Wasser erhitzt oder in den Ofen geschoben. Kann ich. Und, wie in Frankreich so üblich, werden wir einen Gang nach dem anderen erst zubereiten und dann essen, bevor wir uns dem nächsten zuwenden. Wir haben also ungefähr zwei Stunden Spielspaß vor uns.

Den Anfang macht ein délice de la mer, etwas Leckeres aus dem Ozean. Ich hoffe, dass meine unkalkulierbare Meeresfrüchteallergie Ruhe gibt, befülle die Jakobsmuscheln mit dem Inhalt der entsprechenden Tütchen und schiebe sie in den Ofen. Der Inhalt bildet eine Kruste und das ganze schmeckt super. Nicht übel für den Anfang. Gang Nummer zwei ist ein Fischfilet mit einer Sauce aus vin jaune, gelbem Wein. Jetzt werden Tütchen im Wasserbad erhitzt. Ich hab nicht viel zu tun außer die Zeit zu beachten und die Tütchen wegzuwerfen. Der Fisch und die Sauce sind mit dem frischen Brot, das wir noch gekauft haben, ein Gedicht. Frohe Festtagsstimmung macht sich breit, der Kamin knistert. Draußen ist es sehr kalt, drinnen bullig warm, weil der Ofen an bleibt. Gang Nummer drei, Kapaun (kastrierter Hahn, lecker)  mit Kartoffelgratin. Beides kommt in den Ofen, das Gratin in einem der netten Schälchen, die Teile vom Vogel auf das Backblech. Wir unterhalten uns miteinander, trinken ein Glas Wein und freuen uns mit leckeren Dingen im Bauch auf den nächsten Gang. So muss Essen sein. Nach zwanzig Minuten ist der Hauptgang fertig.  Zum Niederknien. Man hört Seufzen und Kauen. Der Käsegang war nicht im Karton, das ist verständlich, den haben wir ergänzt. Vier oder fünf Sorten Rohmilchkäse aus eigenen Beständen, von sanft über nussig bis streng. Zu dem Zeitpunkt habe ich noch keine Milcheiweißallergie und Heiner liebt Käse.  Niemand  muss fahren, wir wohnen in dem Restaurant, also noch ein Glas Rotwein und ein Stück von dem knusprigen Brot dazu.

Der Kuchen ist nur süß und ok, aber das spielt jetzt  keine Rolle mehr. Wir schauen uns begeistert in die Augen und finden, dass es ein sehr schöner Abend war. Heiners Augen lösen sich von meinen und ich sehe sein Grinsen beim Blick hinter mich Richtung Spüle mich immer breiter und runder werden. Ein 360°-Grinsen. Nach diesem Fünf-Gange-Menu spült er zwei Teller, zwei Messer, zwei Gabeln, zwei Gratinförmchen. Die Muscheln werfen wir weg, und er wischt das Backblech sauber. Und das Spülwasser in dem sauberen Topf ist  auch schon heiß. Wie nett. Ich koche Espresso, damit er noch etwas zu spülen hat, aber er meckert nicht.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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