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Zu Beginn des Schuljahres waren in einer unserer Unterrichtseinheiten Schülerinterviews vorgesehen. Einige SuS haben ihre LuL interviewt. Bei der Frage, ob ich mit meiner Berufswahl zufrieden bin, habe ich wahrheitgemäß geantwortet, dass ich sehr gerne Lehrerin bin, aber erhebliche Schwierigkeiten mit dem Schulsystem habe und das schon immer. Später hat meine Kollegin Anja nachgefragt, welche Probleme das seien und ich habe ihr gesagt, die Antwort sei zu lang für den Gesprächsrahmen, den wir zur Verfügung hätten. Ich habe mich aber gefreut, dass sie gefragt hat und darum ist der heutige Blogpost für dich, Anja.


In Schulen gibt es eine besondere Form von Gesprächskultur oder eben eine besondere Form des Mangels daran. Ein Ausdruck dieses Mangels ist

Die sprachliche Blutgrätsche

Emily Menges and Mal Pugh dueling it out at the Maryland Soccerplex.
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Ich habe manchmal das Gefühl, dass absolut jedes Gespräch in einer Schule unterbrochen werden darf und zwar gerne ohne fragenden, erklärenden oder entschuldigenden Satz.  Die Annahme ist, dass das unterbrechende Gespräch wichtiger ist, als das unterbrochene. Mit welcher Berechtigung? Ich habe mir angewöhnt, in solchen Fällen aufzustehen und zu gehen. Häufig zeigt mir dann der Gesichtsausdruck des Unterbrechers, dass er mein schlechtes Benehmen missbilligt.

Das besprechen wir in der Pause

Nein, das tun wir nicht. In einem Raum mit hundert anderen KuK eine Pause zu machen, ist ohnehin eine Herausforderung. Wir machen die Pausen nicht dann, wann wir sie brauchen, sondern dann, wann die Taktung es uns vorschreibt. Ein Lehrer, dem man seine Pause killt, kann sie nicht verschieben. Die Pause dient der Regeneration, der Nahrungsaufnahme, dem Umschalten von einer Klasse auf die andere und dem Herumalbern mit Kollegen, nicht der Erledigung von Dienstgeschäften.


Auch der Umgang weniger gelungenen Arbeitsprozessen ist an Schulen häufig originell. Ich weiß auch nicht, warum ich jetzt an Donald Trumps alternative facts denken muss.

Des Kaisers neue Kleider...


hat sich im Laufe der Jahre als mein Lieblingsmärchen etabliert. Ein Arbeitsprozess ist nicht gelungen, bloß weil er stattgefunden hat. Ein Arbeitsprozess ist gelungen, wenn er gelungen ist.  Außer im Schulsystem.
Was mir an der Mechanik so gut gefallen hat: Eine kaputte Bremse lässt sich nicht heilquatschen oder anders darstellen. Wenn man den Fehler nicht findet, bleibt sie kaputt.
Für mein Beispiel gilt folgender Disclaimer: Die Geschichte hat nie stattgefunden und schon gar nicht an einer Schule, von der ich fünf Jahre lang fortgesetzt alpgeträumt habe. Sie ist fiktional. Zum Glück. Denn so etwas Absurdes wäre an einer Schule ja schlimm. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

Es soll ein deutsch-französisches Projekt an Bord. Deutsch-französische Projekte erfordern gute Arbeit, unter anderem, weil die Franzosen Frankreich so ungerne verlassen und daher wenig Übung mit dem Ausland haben. Alles steht und fällt mit einer sorgfältigen Vorbereitung der SuS in beiden Ländern auf sprachlicher und kultureller Ebene. An dieser fiktionalen Schule nimmt sich die stellvertretende Schulleiterin des Projekts federführend an. Ich bin die einzige Französischlehrerin und soll mitspielen. Der Anbieter auf französischer Seite ist gewerblich und kommt nicht aus der Pädagogik. Er ist flott, schmissig und wirft mit allen Worthülsen um sich, die bei der ersten Begegnung gut klingen könnten. Substanziell kommt mir alles ein bisschen dünn vor.
Ich frage ihn, wie viele Stunden Deutschunterricht und Vorbereitungskurs die französischen SuS im Vorfeld bekommen. Die Antwort lautet: KEINE. Ob man das noch nachreichen könne? Pikiertes NEIN. So etwas sei nicht vorgesehen.
Ok. Eine Begleitung vor Ort zumindest am Anfang ist auch nicht vorgesehen. Nach dem Gespräch teile ich der stellvertretenden Schulleiterin mit, dass ich raus bin, weil nach meiner Ansicht das Scheitern des Vorhabens schon programmiert sei.
Ein paar Wochen vor den Sommerferien kommen dann zwei junge Franzosen. Der Anbieter hat die Vereinbarung, nur Volljährige zu schicken, nicht eingehalten. Einer der beiden ist minderjährig, weil es wohl sehr schwer war, Freiwillige für das Praktikum in Deutschland zu rekrutieren. Die beiden kommen am Wochenende, verbringen den Montag in der Werkstatt und am Dienstag hauen sie ab.
Ich bin an dem Tag krankgemeldet, habe Schmerzen in der Brust und weiß nicht ob ich gleich an Herzinfarkt oder Lungenkrebs sterbe. Also gehe ich zum Arzt.
Trotzdem ruft die Schule an und beauftragt mich, die beiden Jungs, die schon auf dem Weg zum Kölner Hauptbahnhof sind, wieder einzufangen. Wundersamwerweise gelingt das auch. Es wird ein klärendes Gespräch in der Werkstatt angesetzt, zu dem ich auch befohlen werde. Ich bin etwas verdutzt, der deutsche Werkstattmeister spräche doch Französisch, war im Vorfeld kommuniziert worden. Aber der hat die gleichen schönen Kleider an wie der Kaiser.
Der Betriebsinhaber geht mit den beiden unglücklichen Teenagern, um deren Beweggründe und Wohlergehen es zu keinem Zeitpunkt des Gespächs geht, sehr hart ins Gericht. Alle Anwesenden wälzen die Schuld auf die Jugendlichen ab. Dass das Elend vielleicht daher kommt, dass die Deutschen nicht wie versprochen Französisch können und den Franzosen falsche Versprechungen gemacht wurde, was das Niveau der Werkstatt angeht, ist zu keinem Moment Thema. Also nehme ich mir die Freiheit des Dolmetschers, einfach nicht das zu übersetzen, was man von mir verlangt. Ich erkläre den beiden, wie sie die nächsten zehn Tage überleben in einem Land, in dem sie kein Wort, keine Mahlzeit und keine Handlung verstehen.
Das Projekt wird mit Hängen und Würgen zu Ende gebracht. Die beiden werden lebenslang Deutschland hassen und allen ihren Altersgenossen kommunizieren wie schrecklich es hier ist. Konrad Adenauer und Charles de Gaulle drehen sich im Grab um, der Elysée-Vertrag löst sich in kleine Rauchwölkchen auf und das Ganze wird als voller Erfolg an die Berzirksregierung verkauft. Das nenne ich mal Völkerverständigung.
Meine Bitte um ein Auswertungs- und Evaluationsgespräch wird abgeschmettert. Die zehn Überstunden, die ich in einer Woche gemacht habe, kann ich zu den anderen legen. Bedankt hat sich niemand.

Die beiden Fortsetzungsepisoden zum Thema Schulsystem , die demnächst auf diesem Blog nachzulesen sind, heißen


Es kreißte der Berg und gebar eine Maus,

Du bist das Problem!  

Wir fragen die Erfahrungsträger.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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