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Wie es mit dem gelungenen Frankreichprojekt weiterging

Eigentlich wollte ich heute etwas ganz anderes schreiben, aber die Fortsetzung zu der Geschichte von letzter Woche blockiert den Ausgang und möchte unbedingt vorher geschrieben werden.

Disclaimer: Alle Geschichten aus dem Schulsystem sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

Wir befinden uns also wieder an einer Schule auf dem Mars, die ich mir zur Unterhaltung meiner LuL ausgedacht habe und an der allerhand lustige und absurde Dinge passieren.

Diese Woche gibt es eine Garfield-Edition. Sie ist meiner lieben Kollegin Petra gewidmet.

Die kleinen Franzosen, von denen ich letzte Woche erzählt habe, sind wieder zu Hause und erzählen, ganz im Sinne der Völkerverständigung, sicher fleißig ihre Geschichte. Da der erste Teil der Kooperation ein so großer Erfolg war, wird der zweite Teil eingeleitet, der Gegenbesuch. Ziel der ist ein kleiner Ort in der Nähe von Paris: Gonesse. Es ist der Ort, in dem das letzte Überschall-Passagierflugzeug, die Concorde (deutsch: Verständigung / Eintracht) abgestürzt ist.

Manchmal bilden sich in meinem Gehirn Gedankenverbindungen, die ich nicht kontrollieren kann, die aber dazu führen, dass ich mich an meinem Kaffee verschlucke. Meine Assoziationen zu Gonesse lasse ich aus Pietätsgründen unausgesprochen.

Aber man hat sich für die Deutschen in Frankreich etwas vorgenommen. Sie sollen vorher einen Französischkurs bekommen und ich bin immer noch die einzige Französischlehrerin an der Schule.

Ein Kollege hat mir mal gesagt: Jemand, der so viel arbeitet wie du, macht nie Karriere, und hat damit recht behalten. Ich lebe in Frieden damit, aber eines habe ich mir angewöhnt: Wenn jemand Extraarbeit von mir will, möchte ich vorher wissen, was ich dafür bekomme. Wenn ich diese Frage stelle, sehen meine Gegenüber mich an, als hätte ich gerade etwas sehr Unappetitliches gesagt.

Ich bleibe bei meiner unappetitlichen Forderung und man schwingt sich tatsächlich zu einem Angebot auf, das ich akzeptieren kann. Ich frage nach dem Zeitrahmen und muss wieder husten: sechs Wochen, also 12 Unterrichtsstunden und die Jungs haben keine Vorkenntnisse. Zum Vergleich: Ich habe an der Schule sechs Jahre Frankreichaustausch gemacht. Meine überaus geschätzte Kollegin aus der Nähe von Lille hat ihre SuS ein ganzes Jahr vorbereitet. Aber gut. Machen wir es.

Die Gruppe bekommt ein sprachliches Überlebenspaket:

  • Etwas zu essen finden, das man mag. Finden, bestellen, kaufen, bezahlen.
  • Es wieder loswerden: nach den Toiletten fragen.
  • Die größten französischen Fettnäpfchen und wie man sie vermeidet.
  • Menschen begrüßen, sich vorstellen und verabschieden.
  • Sich in Paris zurechtfinden. Teure Touristenfallen vermeiden.
  • ÖPNV in und um Paris benutzen. Ankommen und nicht aus Versehen schwarzfahren.

Mark, der Europakoordinatior, kommt gelegentlich vorbei und äußert Wünsche. Ob ich machen könnte, dass die Jungs sich in Paris richtig gut auskennen. Das kann ich natürlich nicht, das geht nur vor Ort, aber das sage ich ihm nicht. Ich lächele.

Er freut sich, dass ich Paris im Unterricht durchgenommen habe und dass die Teilnehmer alle schon einen Stadtplan besitzen. Beim nächsten Mal fragt er mich, ob ich machen kann, dass die jungen Deutschen und ihre französischen Gegenüber sich richtig gut verstehen. Als er fragt drückt er beide Fäuste vor der Brust zusammen, damit ich ihn verstehe. RICHTIG gut. Am liebsten lebenslange Freundschaft.

Klar Mark, die Steuerung menschlicher Emotionen in der Zukunft auf 550km Entfernung mit Probanten, die nicht kenne, ist mein Spezialgebiet. Lächeln.

Wir verstehen uns gut im Kurs und gegen Ende trauen sie sich, mich zu fragen, wo man in Paris Frauen treffen kann. Mit einem Verweis auf das Pascha in Köln.

Dieser Teil der französischen Landeskunde ist nicht mein Spezialgebiet. Frankreich hat in diesem Jahr gerade die Prostitution verboten und alle gehen davon aus, dass das super funktionieren wird. Das erzähle ich ihnen (Politik). Und dass die Rue St.Denis in Paris eine der ältesten Straßen ist (Geographie).

Es hat längst gegongt.

Dass in der Rue St.Denis beim Spazierengehen ein bestimmter Verhaltenskodex gilt (Interkulturelle Kommunikation). Dass die Damen im zweiten Weltkrieg die Résistancemitglieder versteckt haben (Geschichte). Und dass die Résistance von diesen Einrichtungen aus agiert hat. Très français. (Landeskunde). Dass Maler wie Toulouse-Lautrec unvergessliche Bilder dort geschaffen haben (Kunst). Dass die edleren der Etablissements als künstlerische und kulturelle Treffpunkte galten. Jetzt sind sie ja verboten und existieren folgerichtigerweise nicht mehr (Landeskunde). Dass berühmte Schriftstellen wie Guy de Maupassant, Baudelaire und Proust darüber geschrieben haben (Literatur). Dass das Moulin Rouge kein Etablissement ist sondern ein sehr teures Variététheater. Dass Nicole Kidman dort nicht arbeitet.

Die Jungs haben noch nie so intensiv zugehört.

Dass Variététheater, Restaurant und Etablissement am Ende des 19. Jahrhunderts oft zusammengehörten und die Abende dort von reichen Lebemännern zelebriert wurden. Dass man sich den ganzen Abend mit den Damen UNTERHALTEN hat (Genderkunde). Dass Geisha in Japan ein hochangesehener Beruf ist.

Das reinste Bildungsfeuerwerk, dieses Thema. Ideal für fächerübergreifenden Unterricht. Intrinsische Motivation vom feinsten. Die Bezirksregierung wäre begeistert.

Wie lange Mark schon hinter mir steht, weiß ich nicht. Auf jeden Fall tut er es, als ich mich umdrehe. Er steht mit offenem Mund und sagt auch nichts, als ich ihn ansehe.

Zu diesem Zeitpunkt weiß ich schon, dass für mich der fortgesetzte Alptraum von der Schule auf dem Mars bald zu Ende sein wird. Ich nicke und gehe einfach an ihm vorbei.

Danke an Norbert und Rita für meine Lieblingskarte.

PS: Vielleicht ist er gekommen, um mich zu fragen, ob ich machen kann, dass sich die Jungs in Frankreich verlieben. Das hätte thematisch dann gepasst. Aber das kann ich dann eben nicht.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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