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Worüber ich am Sonntag schreibe, entscheide ich nicht durch Nachdenken. Irgendwann im Laufe der Woche ploppt etwas hoch und will geschrieben werden. Es gibt in jedem Leben viele kleine Geschichten aus allen Bereichen. Begegnungen, Sequenzen, Sätze, Berührungen, die man nicht vergisst, weil sie so einzigartig, lustvoll, spannendend, lustig oder traurig waren.

Dead Leaf Attached To Branch
Photo by Misael Chavez / Unsplash

Der norwegische Schriftsteller Jan Kjaerstad hat das Leben mal mit einem Fahrradlaufrad verglichen. Um das Zentrum, die Nabe, herum sortieren sich deine Geschichten und ergeben am Ende das, was dein Leben gewesen sein wird. (Kleiner Gruß an Martina, die ein großer Fan des Futur II, der vollendeten Zukunft, ist. Das Futur II bekommt einen eigenen Blogpost in den nächsten Wochen.)

Der Vergleich mit dem Rad kommt meiner Vorstellung, dass das Leben eher kreisförmig als linear ist, sehr entgegen. Und mit Fahrradmetaphern bin ich immer zu kriegen.

Heute geht es um eine von drei Fernsehportagen, die sich in meinem Gehirn und in meinem Herzen verankert haben. Ich habe schon lange keinen Fernseher mehr, es ist also eine Weile her. Bei Nummer eins war ich auf der Couch vor dem Fernseher eingeschlafen und bin bei dem Satz aufgewacht

  • Er hat sich durch tiefe Meditation selbst mumifiziert.

Kein alltäglicher Satz, oder?

Meine unmittelbare Reaktion war:

  • Das kriegen meine Schüler auch hin.

Ich habe dann eine sehr spannende Reportage über einen tibetanischen Mönch gesehen, der um ein großes Unheil von seinem Land abzuwenden sich in diesen Zustand begeben hat. Er scheint kein Einzelfall zu sein. (https://www.focus.de/wissen/mensch/mumifiziert-in-tierhaut-sehr-tiefe-meditation-200-jahre-alter-moench-nicht-tot_id_4452307.html)

Nummer zwei war eine Reportage über die Kinder, die nach den verpflichtenden Beratungsgesprächen bei pro familia geboren werden, obwohl die Mütter sie eigentlich nicht wollten. Sehr deprimierend und später nicht mehr aufzufinden.

Um Nummer drei geht es heute. Diese Reportage hat meine grundsätzlich positive Haltung Menschen gegenüber dauerhaft verstärkt und somit zu meiner Bildung beigetragen. Bildung heißt ja, dass man zulässt, dass einen etwas verändert. Es geht um ein sehr heiteres Thema, nämlich das Töten. Oder vielmehr um die, die es nicht tun, obwohl es ihr Auftrag ist, nämlich Soldaten im Krieg. Wenn ich mich richtig erinnere begann die Auswertung von Schlachtfeldern im amerikanischen Bürgerkrieg. So ein Schlachtfeld muss ja aufgeräumt werden.  Tote nach rechts, Verletzte nach links, Waffen in die Kiste. Klingt zynisch, aber schöner ist es wohl auch nicht. Die Waffen werden gereinigt und wieder verwendet. Und dann hat man wohl festgestellt, dass viele Soldaten geladen und geladen haben und noch einmal geladen. Sie haben nicht gefeuert. Die Abneigung ihresgleichen zu töten, war einfach zu groß.

Der folgende Text ist die Pressemitteilung des ZDF zu dieser Reportage.

Schießen oder nicht? Das Phänomen der Tötungshemmung-
ZDF-Magazin Abenteuer Wissen mit Wolf von Lojewski über die Tödliche Entscheidung

Militärs in aller Welt suchen immer wieder nach neuen Möglichkeiten, den Soldaten die Hemmung vor dem Töten zu nehmen. Das ZDF-Magazin "Abenteuer Wissen mit Wolf von Lojewski" geht am Mittwoch, 18. Juni 2003, 22.15 Uhr brisanten Fragen rund um die "Tödliche Entscheidung" auf den Grund. Für die Generäle der Alliierten im Zweiten Weltkrieg war es ein Schock, als nach der legendären Landung in der Normandie eine Untersuchung ans Licht brachte, dass vier von fünf der Soldaten an der Front absichtlich daneben geschossen hatten. Experten bezeichnen das Phänomen als "Tötungshemmung".          

"Abenteuer Wissen mit Wolf von Lojewski" berichtet darüber, dass deutsche Militärs schon vor dem Zweiten Weltkrieg auf dieses "Problem" gestoßen waren und nach Methoden gesucht hatten, diese Hemmung zu überwinden. Jetzt haben historische Untersuchungen ergeben, dass nach dem Krieg deutsche Experten, die sich mit der Überwindung der Tötungshemmung befasst hatten, von den Amerikanern in die USA geholt wurden. Von da an wurde gezielt nach neuen Möglichkeiten gesucht, den Soldaten die Hemmung vor dem Töten zu nehmen. Ausbildungsprogramme wurden mit Hilfe neuester psychologischer Forschung von Grund auf überarbeitet. Und tatsächlich sind die Militärs ihrem Ziel immer näher gekommen: Inzwischen beträgt die "kill rate" moderner Armeen über 90 Prozent. Mit ausgefeilten Methoden gelingt es immer mehr, die Tötungshemmung außer Kraft zu setzen.          

Doch wohin führt bei den einzelnen Menschen das Tötungstraining, zu dem sogar Videospiele gehören, ganz ähnlich jenen, die bei Kindern und Jugendlichen so beliebt sind? Und welche Konsequenzen hat das für die Soldaten,wenn sie - wie jetzt wieder nach dem Golfkrieg - ins zivile Leben zurückkehren? Zitat Pressemitteilung Ende

Meines Wissen gab es diese Bemühungen schon für den Vietnamkrieg und meines Wissens sind diese Soldaten nie wieder ins zivile Leben zurückgekehrt.

Das gilt auch für spätere Kriege:

Was der Krieg und ihre Ausbildung ihnen angetan hat, hat sie bei lebendigem Leibe getötet und ihre Frauen faktisch umgebracht.

Vielleicht sollten Menschen, die Soldaten so etwas antun, zum Schutze der Allgemeinheit selbst mumifizieren.

Zum Weiterlesen:

Wann Soldaten gern töten
Essay: Wie Soldaten töten lernen - WELT
Die bekannte deutsche Fotografin Herlinde Koelbl beschreibt, wie sie in 30 Ländern in die Welt der Militärs eintauchte, um zu erkunden, was ein Feind ist
Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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