4 min read

Danke an Anja, die mir das Buch geliehen hat. Und danke an Bettina Bouju und Johanna Links, die es geschrieben haben:

Den Fettnäpfchenführer Frankreich

Seit Und Gott schuf Paris von Ulrich Wickert, habe ich über Frankreich nichts mehr mit so viel Genuss gelesen wie dieses Buch. Ulrich Wickert und ich haben eine besondere Beziehung,  von der er nichts weiß. Ich habe zwei Jahre (83/84 und 86/87) in Paris gelebt und im zweiten Jahr habe ich im Telefonbuch gestanden. Das hat mir so viel bedeutet, dass ich die Seite herausgerissen habe und sie lange eingerahmt in meiner Wohnung an der Wand hängen hatte. Sogar so lange, bis es keine Telefonbücher mehr gab. Und auf der gleichen Seite stand Herr Wickert nebst Gemahlin. Der hat zu der Zeit nämlich auch in Paris gelebt. Toll, gell?
Ich bin mit neunzehn Jahren als Au-Pair nach Paris gegangen, weil ich raus wollte. Raus aus der häßlichen Vorstadt von Bonn, in der ich meine Jugend verbringen musste und raus aus der disfunktionalen Familie, deren Spross ich nun mal bin. Ich hatte zwei Jahre Französisch in der Schule und  habe mit ausreichend minus abgegeben. Ich bin in Frankreich aufgeschlagen als Meckenheimer Landpomeranze und habe innerlich und äußerlich die Ärmel hochgekrempelt mit dem Leitsatz im Kopf: Das kriege ich schon irgendwie hin. Denn schlimmer als es vorher war, konnte es ja nicht werden. Na ja. Ich habe es hingekriegt. Irgendwie. Aber manchmal brennen mir noch die Ohren, wenn ich daran denke, wie oft und wie nachhaltig ich mich blamiert habe.
Wie das passieren konnte, haben die beiden Autorinnen aufs feinste filetiert und aufgeschrieben. Ich wünschte, ich hätte das Buch geschrieben. Ich kann jetzt nur noch hinterherbloggen.
Die erste und wichtigste Aussage des Buches: Savoir vivre hat nichts damit zu tun, in den Tag hinein zu leben und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Savoir vivre ist eine Ausbildung, die französische Kinder von Tag eins ihres Daseins erhalten. Danke an die Autorinnen für dieses klare Statement. Jeder Ausländer braucht dafür so eine Art langjähriges Studium und trifft hoffentlich die richtigen Berater. Denn savoir vivre ist ein höchst kompliziertes Regelwerk.
Paula, die tapfere Heldin des Buches ist eine deutsche Gastschülerin, die in einem ziemlich bourgeoisen Milieu landet und sich genauso oft seelisch blaue Flecken holt wie alle Ausländer, die einfach nur in Paris leben wollen. Denn Paris kann man nicht einfach leben. Dazu braucht man eine Ausbildung.
Das Buch hat 44 Kapitel, 44 blaue Flecken für Paula und ihre Familie. Sie schämt sich zwischendurch für ihre Eltern, wie wir uns alle geschämt haben, weil die Eltern nicht wussten, was wir gerade schmerzhaft gelernt hatten. Natürlich nicht, woher denn auch. Zwei meiner Lieblingskapitel sind:

Nummer 6: Lody, Back und Mannatann

Wie wir in Deutschland leben, ist den Franzosen egal. Die deutsche Wirtschaft ist besser als die französische, das ist schon doof genug. Und so gut leben wie in Frankreich  können wir ja gar nicht, also warum sollten sie sich mit Details unserer Alltagskultur aufhalten.
Wie es uns im Ausland geht, wenn wir alleine und neunzehn sind, ist ihnen eigentlich auch egal. Aber manchmal tun sie so, als würden sie sich für uns interessieren und loben Dinge, die sie an Deutschland toll finden. Lody zum Beispiel. Paula versteht nicht, dass es um das Auto geht: l'Audi.
Da Franzosen sich eigentlich nie freiwillig im Ausland aufhalten, und wenn sie es tun, nicht versuchen eine Fremdsprache zu lernen, wissen sie nicht, dass wir Wörter nur wiedererkennen, wenn man sie halbwegs richtig ausspricht. Jean Sebastién Back, Johann Sebastian Bach wird auch erwähnt und auch nicht erkannt. Paula wird mit hochgezogenen Augenbrauen in die Ecke der Unkultivierten geschoben. So schnell geht das.
Ich hatte mit meinem Ex Jean Michel auch Ärger, was die Aussprache angeht. Ich heiße Hildegard Wichmann. In Frankreich heißen alle Violine de l'Harmonie und sehen auch so aus. Das ist ja schon schlimm genug. Mein germanischer Name poltert und fügt sich nicht in die französische Sprachmelodie. Aber ich möchte nicht 'Ildeugarde Wiischmaanne heißen. Ich habe versucht Jean Michel zu erklären, dass das für mich ist, als würde ich ihn ständig mit Hans-Michael vorstellen. Für solche Fälle gibt es eine Geisteshaltung und einen Blick mit dichten grauen Wölkchen drin, die heißen: Sag mir Bescheid, wenn es vorbei ist. Du kommst nicht durch.

Bei Manattann handelt es sich übrigens um einen Stadtteil von New York.

Nummer 15: Terrine, Suppe, Suppenterrine

Paulas Familie macht sich in einem Restaurant zum Affen. Fast das gleiche habe ich mit meinen Eltern in der Brasserie du Nord erlebt, aber wir sind damals gegangen. Manni, Paulas Vater, gibt nicht auf und das finde ich toll. Als Deutscher weiß man nicht, wie ein Menu aufgebaut ist, wie man den Kellner richtig anspricht und kann sowieso die Speisekarte nicht lesen. Häufig sind die Bezeichnungen so blumig gewählt, dass man nicht einmal erkennt, aus welchem Tier oder welcher Pflanze das Gericht gemacht ist. Man kann den kultivierten Dialog über Essen und Getränke nicht führen. Denn dazu braucht man die obengenannte Ausbildung. Nur Manni und sein Sohn werden satt, Paula und ihre Mutter nicht und das ganze ist auch noch extrem teuer.
Wer gerne mit Frankreich zu tun hat oder haben will, möge dieses Buch lesen. Jedes Kapitel erzählt eine Geschichte, stellt die Frage Was ist diesmal schiefgelaufen? und endet mit Was können Sie besser machen? Ich bin durchaus zuversichtlich, dass sich so manche unangenehme Situation für Deutsche so vermeiden ließe.
Schneller und mehr habt ihr noch nie über Frankreich gelernt. Warum ist so etwas eigentlich nicht Schulstoff? Dazu mehr in einer anderen Woche.

Und hier noch ein kleines Foto von meinem aktuellen Arbeitsplatz:

Ich bin im Waschsalon von StMartin. Mein Dank gilt dem Café nebenan, dessen kräftiges Internet durch die Wand geht und mir daher einen Arbeitsplatz mit Gratisnetz ab 6.30h zur Verfügung stellt. Die seltsamen Blicke der anderen sind auch gratis.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

Read more posts by this author.

Bonn