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Am 10. Juni 1944 wurde durch die Waffen-SS ein Kriegsverbrechen an der Bevölkerung des französischen Dorfes Oradour-sur-Glane im Limousin verübt. Nahezu alle Einwohner wurden dabei ermordet, es gab nur 36 Überlebende. Das Dorf wurde völlig zerstört. Bei dem Massaker von Oradour-sur-Glane handelte es sich mit 642 Opfern um das zahlenmäßig größte Massaker in Westeuropa. Das zerstörte Dorf wurde stehen gelassen und dient zusammen mit einem Museum als Mahnmal. Pfingstmontag war der 75. Jahrestag.

Der Homo Festivus in Oradour

(L’Abeille 6 juin 2019) von François Bussac

Der Schriftsteller Philippe Muray hat uns eine exzellente Definition des Menschen unseres Zeitalters vermacht: der Homo Festivus, der Mensch, den alles amüsiert. Nichts darf wirklich ernst genommen werden. Er feiert einen Erfolg, eine Beförderung oder ein Wiedersehen, das ist nur zu verständlich. Aber er feiert auch, wenn er seine Katze wiedergefunden oder seine Frau verlassen hat.

Mit einfältigem Lachen killt er jeden etwas ernsteren Diskurs, jedes vernünftige Argument, indem er es für schwerfällig oder kopflastig erklärt. Nichts ist vor diesem fürchterlichen Dauerfrohsinnigen sicher.

Happenings, Sit-ins, Flash-Mobs: Politische Aktion wird im Partymodus konzipiert und  Lernprozesse müssen wie Spiele aussehen, damit sie noch als effektiv gelten.

Grenzwertig wird es, wenn das beste Mittel, gegen die Gewalt des Terrors Stellung zu beziehen, darin besteht, Plüschtiere am Ort des Massakers niederzulegen.

Am Tag nach dem Attentat auf das Bataclan war die erste Geste der Bürgermeisterin von Paris, überall in der Stadt Plakate aufhängen zu lassen, die verkündeten: Paris ist ein Fest, spottet die Humoristin Blanche Gardin. Gut bemerkt.  

Pokemons in dem Märthyrerdorf jagen

Die Tendenz, dass einem nichts mehr heilig ist, breitet sich nun als Massenverhalten aus. In wie vielen Kirchen ist es schwierig geworden sich zu besinnen umgeben von schreienden Kindern und den Blitzlichtern der Kameras? In wie vielen Museen leidet die stille Betrachtung eine Bildes unter der Allgegenwärtigkeit der Selfieliebhaber? Nicht einmal Gedenkstätten sind vor der allgemeinen Tendenz zur Albernheit sicher: Bis vor kurzem jagten Banden von an ihren Smartphones festgeklebten Halbwüchsigen Pokemons im Beinhaus von Verdun und in den Ruinen von Oradour. Bald brauchen wir Ordnungskräfte um das Minimum an Respekt sicherzustellen, das wir dem Märthyrerdorf schulden.

Natürlich sehnt sich niemand nach einer Gesellschaft im Korsett der Konventionen, aus der das Lachen verbannt war, weil es aus dem Mund des Teufels kam. Aber vielleicht ist es Zeit, den Sinn des schönen Wortes Ernsthaftigkeit noch einmal neu zu erlernen und unseren Kindern beizubringen.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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