Ich habe mir, die Frage, ob ich eine Feministin bin, schon lange nicht mehr gestellt. Ich bin halt eine Frau. Und wenn mir jemand auf die Füße tritt, wehre ich mich. Ich denke, dieser Reflex ist nicht vom Geschlecht abhängig. In der Schule heißt auf die Füße treten häufig, dass jemand versucht mir seine Arbeit unterzujubeln. Das tun Frauen wie Männer. Dann weise ich darauf hin, dass ich diese Arbeit nicht machen werde. Oder jemand geht mir mit Mansplaining, d.h. Männer erklären Frauen die Welt, auf den Keks. In diesem Fall drehe ich mich um und gehe, wenn die Gelegenheit es erlaubt. Oder ich womansplaine zurück. In Regelfall findet man mich dann zickig, komisch oder nervig. Die Welt erwartet von Frauen, dass sie freundlich und ausgleichend reagieren, egal, wie bescheuert man sich ihnen gegenüber verhält. Und dass sie dabei lächeln.
Aber das alles macht aus mir keine Feministin, sondern ist nur ein Hinweis darauf, dass unsere unheimlich zivilisierte westliche Welt ein komischer Ort ist, an dem von einer Gleichberechtigung gesprochen wird, von der wir noch sehr weit entfernt sind . Das ist nichts Neues. Ich lebe schon so lange damit. Und ich warte nicht darauf, dass mich jemand anders gleichberechtigt, ich gleichberechtige mich einfach selbst.
Die Tendenz, sich zu wehren, stirbt aus,bei Frauen besonders, aber auch ganz allgemein. Nur heißt das jetzt nicht mehr Feigheit, sondern buddhistische Gelassenheit.
- Ach weißt du, ich sehe das ganz gelassen,
heißt dann der leicht überlegene Text. Damit wird dann suggeriert, dass der Sprecher durch Meditation ein inneres Level von Weisheit erreicht hat, das ihm erlaubt, die Dinge ganz entspannt so zu nehmen, wie sie sind. Oder sich einfach zu verdrücken, wenn es schwierig wird. Wie praktisch. Ich habe Menschen mit diesem Satz das widerlichste Unrecht ignorieren sehen.
Ich sehe es nicht gelassen, wenn die Menschenrechte und das Grundgesetz für Frauen nicht gelten. Hierzu heute eine kleine Geschichte.
Vorneweg ein Kompliment an die Männer, mit denen ich bei Honda, Yamaha und später im Vorgebirge zusammengearbeitet habe, an die Chefs vieler Fahrradläden, die ich besucht habe und an die meisten Mitarbeiter der HWK in Köln. Es waren viele echte Gentlemen dabei. Das sind nicht die mit der Rose zwischen den Zähnen, sondern die mit dem Respekt im Herzen. Und an meine Schüler, die mein Geschlecht ohnehin nie interessiert hat. So, das ist jetzt mal echt eine lange Einleitung.
An diesem Tag gibt es ein Problem mit Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes. Wir sind in Freiburg auf einer Fortbildung auf Bundesinnungsebene. Ich kenne diese Fortbildungen als hochklassig, sie unterbrechen den Alltag, man wird gut mit Essen versorgt, lernt Leute aus der Branche kennen und bleibt in der schnelllebigen Zweiradbranche auf dem Laufenden. Es gibt immer einen Motorrad- und einen Fahrradtag. Heute ist der Motorradtag. Auf dem Programm steht ein Vortrag über Zündkerzen
und Lambdasonden der Firma NGK. Lambdasonden ermitteln den Schadstoffgehalt von Abgasen.
Der Vortrag ist gut, das Bildmaterial auch. Der Beamer vergrößert artig alle Bilder auf mehrere Quadratmeter. So auch das letzte Bild.
Zu sehen ist der Torso einer Frau ohne Kopf (der wird nicht gebraucht) mit nackten Brüsten. Der Zusammenhang erschließt sich mir nicht so ohne weiteres.
Über die Brustwarzen verläuft ein rotes Band mit der Aufschrift Haben Sie noch Fragen?. Es gibt keine Fragen, aber das Band fällt trotzdem.
Okeeeeeee...
Also nur für den Fall, dass dieser Teil unsere Zivilisation ein bisschen schwächelt: entblößte Geschlechtsteile gehören in den privaten Raum. Frauen sind Menschen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das Grundgesetz gilt auch für Frauen.
Ich denke an die jungen Frauen, die ich ausbilde. Was das wohl mit ihnen macht, wenn man ihnen auf einer "hochklassigen" Fortbildung am Ende mal wieder mitteilt, dass sie kein wichtiger Teil der Gesellschaft sind, kein Mensch mit Seele, sondern ein Stück Fleisch.
Oder wird in Juravorlesungen oder Fortbildungen für Bankkaufleute am Ende der Veranstaltung zur allemeinen Entspannung ein männlicher Penis gezeigt?
Ich habe die Geschichte meinem Dezernenten geschrieben. Der war zwar nicht zuständig, aber ich wollte, dass er es weiß. Und ich habe mich schriftlich beim Veranstalter beschwert. Eine Antwort habe ich von beiden nicht bekommen. Was ich nicht getan habe, ist, den Redner bei seiner Firma zu verpfeifen. NGK ist eine japanische Firma und in Japan nimmt man es mit Schamgrenzen sehr genau, oder? Dass ich ihn nicht angeschwärzt habe, tut mir heute noch leid.