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Wenn man wie ich in Meckenheim bei Bonn aufgewachsen ist, hat man mit 19 keine Ahnung von der großen Welt. Ich habe beobachtet, wie Mädchen und junge Frauen in den oberen Klassen neu an unsere Schule kamen und irgendwie ganz anders waren als wir. Sie kamen aus Hamburg, München oder aus Düsseldorf. Sie sahen anders aus und wollten sofort wieder nach Hause. Sie fanden es schrecklich bei uns und uns fanden sie auch schrecklich mit unseren endlosen Gesprächen über Herrmann Hesse. Sie hatten Kleidungsstücke an, die wir in unserer Jeans-Parka-Boots-Uniform mit Atomkraft-nein-danke-Anstecker nicht kannten, nicht einmal benennen konnten.

Das Wort stylisch gab es damals noch nicht, wir versuchten es mit gepflegt und toll angezogen. Aber stylisch waren sie. Wofür der Aufriss gut, war  uns unklar. In Meckenheim gab es eine Teestube, einmal im Monat wurde in der Hauptschule ein Film gezeigt (Heute abend ist Film, kommst du auch?) und vor dem Abitur gingen wir alle noch ein halbes Jahr in die Tanzstunde. Unsere Haare hatten keinen Schnitt und waren straßenköter-mittelblond, unsere Augenbrauen hatten keine Form. Den subtilen Glow, den die Haut der Mädchen hatte, konnten wir uns auch nicht erklären. Er rührte mit Sicherheit von etwas her, was man heutzutage Pflegeroutine nennt, also regelmäßige Hautpflege mit abendlicher Reinigung (nicht mit Seife) und einer guten Feuchtigkeitscreme. Und von einem zarten Make-Up. Wir kannten Kajalstift und Patchouli. Die Hautpflege habe ich erst deutlich nach dem Abitur für mich entdeckt.

Photo by Micheile Henderson / Unsplash

Wie man eine Frau wird, konnte ich bei meiner Mutter nicht lernen. Was alles dazugehört, weiß ich glaube ich, bis heute nur in Ansätzen. Aber nach meinem ersten Jahr in Paris 1983/84 war ich dann zumindest schon mal besser angezogen.

Die Marquise von Haumichblau sagte ganz richtig:

Man kann ein Mädchen aus der Provinz holen, aber nicht die Provinz aus dem Mädchen. On peut sortir une fille de sa province mais pas la province de la fille.

Raffiniert heißt eigentlich verfeinert und hat keinen Beigeschmack von hinterhältig. Das kann man heute noch mit Tüten von Haushaltszucker beweisen. Ein bestimmtes Stadium von Raffinement erreicht man nie, wenn die Familie und die Umgebung einen nicht entsprechend ausgebildet hat.

Im ersten Semster 1984 trat dann Bernadett von F. in mein Leben, eine höhere Tochter aus Düsseldorf. Ich dachte ein paar Jahre, wir seien Freundinnen. Das hat aber nicht geklappt. Sie hat in meinem Leben seltsame Sätze hinterlassen wie:

- Glaubst Du, dass ich Ralf küssen muss, wenn ich mit auf den Segeltörn möchte?

Sie hat keine befriedigende Antwort von mir bekommen, weil ich die Frage nicht verstanden habe. Ich dachte immer, dass man einen Mann küsst, weil man ihn küssen möchte. Setzen, sechs du Landei. Für's Küssen gibt es offensichtlich bessere Gründe.

Nach meinem zweiten Parisjahr 1986/87 stimmten dann auch die Hautpflege, Haare und Make-up. Aber raffinée war ich immer noch nicht. 1990/91 habe ich dann mein erstes Staatsexamen gemacht, ein Unterfangen, das damals noch andertalb Jahre verbraucht hat. In dieser Zeit habe ich Susanne Sommer kennengelernt. Ihr Ehemann war der Leiter der BMW-Niederlassung in Bonn und ich war eine der Shampooneusen in ihrem Friseursalon.

Sie ist sehr attraktiv mit  puppenblaue Augen und blonden Locken, für die Ella, ihre Friseurin das Geheimnis hatte. Darum ist sie Ella in unseren sehr angesagte aber nicht edlen Altstadtsalon gefolgt. Eigentlich passt sie nicht hierher.

An diesem Sommertag ist es unerträglich heiß, der Salon ist ausgebucht. Fünf Friseurinnen und zwei Aushilfen rennen um die Wette um die KuK (Kunden und..) glücklich zu machen. Wir schuften in Schweißpfützen und schnaufen gegen die Hitze an. Man sieht uns die Anstrengung an. Ich strenge mich für zehn Mark pro Stunde und die Fachkräfte für deutlich weniger an. Susi Sommer erklärt sich solidarisch. Auch sie habe einen brechend vollen Tag: Friseur, Kosmetik und Maniküre.

Termine, Termine, Termine, seufzt der tadellos geschminkte Puppenmund.

Red lips.
Photo by Timothy Dykes / Unsplash

Ich rutsche fast auf meiner Schweißpfütze aus und den Blick, den Ella und ich uns zuwerfen hat Susi zum Glück nicht gesehen. Sicher ist:  Auf dem Stuhl und hinter dem Haarwaschbecken haben wir nicht den gleichen Begriff von einem anstrengenden Tag. Mein Gesichtsausdruck bleibt zwei Tage wie eingefroren bei fassungslos stehen.

Viiiiieeeele Jahre später habe ich dann verstanden, dass Susi das vollkommen ernst meinte und auch noch recht hatte.

Viiiiiieeele Jahre später habe ich verstanden, welchen Beruf jemand ausübt, der von Beruf Gattin ist. Am Abend hatte BMW eine große Veranstaltung und sie hat den ganzen Tag nichts anderes getan als alles zu tun um ihren Job gut zu machen.

Genau wie wir.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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