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Because I love Lego and I have a lot of these minifigures!

Clara, Mia und ich sind im Jahr 2005 alle gleichzeitig aus der freien Wirtschaft in den öffentlichen Dienst gewechselt. Ich bin also schon 41, als ich mich zum dritten Mal in den Schuldienst wage und ich halte mich für charakterlich einigermaßen gefestigt. Die Referendarzeit war das erste Mal; danach bin ich dann Mechanikerin geworden. Die Schule auf dem Jupiter war das zweite Mal. Dort nicht zu bleiben hat mich die Verbeamtung gekostet, war aber sehr gut für meine seelische und körperliche Gesundheit. Es ist eine Entscheidung, die ich nicht bereut habe.

Im ersten Jahr gibt es viele Gespräche mit Clara und Mia und das eine oder andere Gläschen (Fläschchen) Wein oder Bier, während wir unsere Wahrnehmungen abgleichen und uns gegenseitig versichern, dass wir nicht kollektiv übergeschnappt sind. Clara findet bei einem dieser Gespräche, dass im öffentlichen Dienst nicht mit Leistung sondern mit Unterwerfungsgesten gehandelt wird. Das kann ich zu dem Zeitpunkt zum Glück nicht bestätigen. Unterwerfungsgesten stehen auch nicht in meinem Arbeitsvertrag.

Wenn eine Wurst drei Enden hätte, würde ich finden, dass ich das beste Ende bekommen habe. Gewerblich-technische Berufskollegs sind relativ unkonventionelle Arbeitsorte und Menschen mit zackigen Lebensläufen kommen dort öfter vor als woanders. Meine Fahrradmonteure sind auch eher unkonventionell, gut gelüftet, weil so viel draußen, eigenwillig, fröhlich und kritisch.

Zu früh gefreut, Frau Wichmann, so etwas kann sich ganz schnell ändern. Man muss nur den Schulleiter wechseln. Alfons Mahlert ist also jetzt der HERR IM HAUS. Und Eugenia ist stellvertretende Schulleiterin geworden. Kein Mensch weiß so recht, was sie eigentlich dazu befähigt und das ist heute, elf Jahre später, glaube ich, immer noch so. Aber manchmal geht es Menschen nicht darum den Job zu machen, sondern nur um den Titel.

Mahlerts Ansage Ich bin der Herr im Haus klingt, als wäre das Ende der flachen Hierarchien an der Schule gekommen. Das stört mich erst einmal nicht, das Handwerk ist auch streng hierarchisch organisiert. Wenn alle ihre Rolle kennen und ausfüllen, habe ich nichts gegen Hierarchien. Ich habe auch nichts dagegen Anweisungen auszuführen. Allerdings habe ich dabei ein paar Bedingungen:  Sie müssen mit meiner Arbeit zu tun haben und sie enthalten keine gesundheitsschädlichen oder demütigenden Elemente. Denn das steht nicht in meinem Arbeitsvertrag. Und: Wer führen will, übernimmt dann bitte auch die Verantwortung.

Der neue Wind an der Schule auf dem Mars bläst mir an einem sonnigen Junitag aus meinem eigenen Klassenraum entgegen. Ich bin früh dran, weil ich in der Werkstatt noch etwas erledigen will. Mahlert unterrichtet in meiner Klasse, die Tür ist offen. Ich gehe strahlend gut gelaunt den Gang entlang. HILDEGARD, brüllt es aus der offenen Tür. Hoppla, so hat eigentlich nur meine Mutter meinen Namen ausgesprochen. Sie ist 2001 gestorben und eine Nachfolge wurde nicht benannt. Noch lächelnd betrete ich den Klassenraum und Mahlert wirft mir ein Formular vor die Füße, das ich ihm mit der Bitte um Unterschrift ins Klassenbuch gelegt hatte. WIE ICH ES WAGEN KÖNNTE... Ich habe keine Ahnung, was er von mir will, wahrscheinlich habe ich beim Ausfüllen etwas falsch gemacht. Mit tellergroßen Augen frage ich mal leise nach, was los ist. ALSO SO LÄUFT DAS HIER NICHT, brüllt es weiter. Das hilft mir bei der Bestimmung meines Fehlers jetzt auch nicht.

Photosession, Limitless emotions
Эмоции человека, черно-белое фото. Фотосессия.
Photo by Dmitry Vechorko / Unsplash

Aber vom angebrüllt werden habe ich jetzt auch genug und ich bitte ihn leise darum das Gespräch auf dem Flur fortzuführen. Das Formular lasse ich mal vorsichtshalber auf dem Fußboden liegen, damit nichts drankommt. Das kann ich in der Pause immer noch aufheben.

Ich bitte ihn mich vor meiner Klasse nicht so anzubrüllen. ICH HABE DICH NICHT ANGEBRÜLLT. Sollen wir mal in die Klasse gehen und die Schüler fragen? Das will er dann auch nicht und das Gespräch endet mit einer geknallten Tür. Ich verziehe mich nach draußen und muss erst einmal eine rauchen.

Wir haben jahrelang hervorragend zusammengearbeitet und das ist jetzt die neue Standortbestimmung? Ja, das ist sie und es ist natürlich die Antwort auf die Riesenarschkarte vom Ausbildersprechtag. Auch im Karneval dürfen sich die Ohmächtigen nicht ungestraft über die Mächtigen lustig machen. Außerdem hatte ich im Januar mal das Thema Beförderung angesprochen. Er hat mir gerade den Preis dafür genannt.

Was wäre jetzt eigentlich die von ihm gewünschte Reaktion auf das Gebrüll gewesen? Dass ich in die Knie gehe, das Formular aufhebe und am liebsten weinend frage, was ich nächstes Mal besser machen kann? Gedanken gehen seltsame Wege. Mir fällt eine französische Brötchentüte ein, die ich leider nicht behalten habe. Jetzt wäre nämlich der Zeitpunkt gekommen sie einzurahmen und an die Wand zu hängen.

Besser Brot im Stehen als Steak auf Knien essen.

Mir dämmert, dass es demnächst viel Brot geben wird.

PS: Und hier noch einmal der Hinweis, dass es die Schule auf dem Mars nicht gibt und nie gegeben hat. Ich habe sie zur Unterhaltung meiner LuL frei erfunden. So etwas Absurdes passiert auf der Erde zum Glück nicht.

Hildegard Wichmann

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Bonn