Heute geht es darum, wie auffällig sich der Arbeitsmarkt durch den Facharbeitermangel verändert hat.
Zwei Werbekampagnen sind mir in den letzten Wochen begegnet, die mich nachhaltig verblüfft haben. Der Facharbeitermangel ist seit zehn Jahren abzusehen und dass sich der Arbeitsmarkt dem anpasst ist z.B. daran zu erkennen, dass Banken und Versicherungen seit Jahren immer früher um die guten Bewerber mit Fachabitur und Abitur werben. Firmen und Betriebe drängen in die Schulen auf der Suche nach geeigneten Azubis.
Bei einer Betriebsbesichtigung bei einem Autohersteller vor einigen Jahren formulierte der Ausbildungsleiter: „Es kommen ja immer weniger Kinder auf den Markt.“ Ich fand die Formulierung seltsam und ich hoffe, dass die Kinder immer noch zuerst auf die Welt kommen. Aber faktisch Recht hat er natürlich.
Eine Reaktion des Arbeitsmarktes sieht aus wie folgt:
Die REWE-Group holt also die Silberhaarigen zurück. Soso. Ich schätze den Arbeitnehmer auf dem Bild auf zwischen 55 und 60, also Phi mal Daumen meine Altersgruppe. Wenn ich mich richtig erinnere mussten diese Jahrgänge mit ihrem neunundvierzigsten Geburtstag anfangen, sich Sorgen zu machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie kurz nach ihrem fünfzigsten zur Wahrnehmung anderer Karrierechancen freigesetzt, kurz entlassen wurden, war ziemlich hoch. Andere Karrierechancen gab es keine. Der brutalisierte Arbeitsmarkt der letzten zwanzig Jahre hat sie kurz und trocken in eine wirtschaftlich schlechte Situation befördert und dort allein gelassen. Die Frage, was diese Menschen bis zur Rente denn jetzt arbeiten sollten, wurde weder ökonomisch noch politisch richtig aufgenommen und beantwortet.
Aber unser Freund auf dem Bild hat es gut gehabt, seit er entlassen wurde. Er lächelt erfahren und trägt einen Maßanzug. Also ist ihm etwas Cleveres eingefallen. Aber warum sollte er dann bei Rewe anfangen? Aber das ist ja zum Glück nicht mein Problem.
Wenn er 58 ist wurde er vor acht Jahren entlassen. Dass der Facharbeitermangel kommt seit 13-14 Jahren benannt und die Folgen wurden früh beschrieben. Hätte es keine Möglichkeit gegeben, diese Altersgruppe im Arbeitsmarkt zu behalten, um ihretwillen und um eines Marktes willen, der früh absehbar jetzt einbricht?
Die unmenschliche Art, Fünfzigjährige zu entsorgen, hatte aber für die Firmen noch andere Folgen. Das habe ich auf einer Fortbildung der BAG-Metall-Elektrotechnik im Gespräch mit einem Vertreter aus der Industrie gelernt. Er beschrieb seine Anforderungen an die berufliche Bildung, die Liste wurde immer länger und umfasste auch etwas, was gar nicht unterrichtet werden kann: Erfahrungswissen. Erfahrungswissen wird weitergegeben, wenn ein erfahrener Mitarbeiter mit einem jüngeren zusammenarbeitet.
Im Handbuch steht ..., aber bei dieser Maschine ist es andersherum.
Wenn der Tester sagt, es sei der Hallgeber, ist es bei diesem Modell immer das Drosselklappenpotentiometer.
Ich habe mein Gegenüber darauf hingewiesen, dass die Firmen ihr Erfahrungswissen herausgeworfen haben und dass es keine Möglichkeit gibt, das in der Berufsschule aufzufangen.
Es gibt Erfahrungswissen, das den Alltag einfacher macht: Wenn die Maschine ein bestimmtes Geräusch macht, muss der gelbe Stecker gezogen werden, weil sie sonst in einer Stunde heiß läuft und stehen bleibt. Oder eben die falsche Diagnose des richtigen Testers in die richtige Diagnose zu übersetzen.
In einem viel umfassenderen Sinn ging Erfahrungswissen verloren, weil Wissen durch Mentoren nicht mehr weitergegeben wurde. Gegen Ende ihrer Berufstätigkeit haben viel Arbeitnehmer einen Nachfolger ausgebildet, den sie selbst wählten, deren Mentor sie wurden und dem sie ein Kondensat aus mehreren Jahrzehnten Erfahrung und vielen Arbeitstechniken mitgaben. Dieser Prozess fand statt, wenn das Ende der Berufstätigkeit schon in Sicht war. Niemand bildet die eigene Konkurrenz aus. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Berufserfahrenen auf dem Plakat leider nicht gekommen. Hoffentlich können sie sich erinnern, wenn REWE sie jetzt wieder einstellt. Und hoffentlich sind sie noch bereit dazu.
Das zweite Mal, dass ich richtig gestaunt habe, war bei dieser Kampagne.
Ausgerechnet die Deutsche Bank, bei der ich nie das Gefühl hatte, dass die Anliegen der Arbeitnehmer ihn ihren Überlegungen vorkommt, fordert den Mittelstand auf, den Spieß umzudrehen und sich als attraktiven Arbeitgeber zu präsentieren, sich also bei den Arbeitskräften zu bewerben. Überlegungen zum Thema Arbeitnehmerzufriedenheit habe ich zum letzten Mal in den achtziger Jahren gehört. Ich kenne Leute, die den Begriff von mir zum ersten Mal gehört haben. Der brutalisierte Arbeitsmarkt der letzten gut fünfundzwanzig Jahre verlangte von den Arbeitnehmern, sich täglich auf Knien zu bedanken, weil sie Arbeit hatten. "Sei doch froh..." Es wurde erwartet, dass man, wenn der Befehl „Spring“ kam, nur fragte, wie hoch und nicht, warum. Führungskräfte brauchten sich zum Thema Mitarbeitermotivation nicht viele Gedanken zu machen, weil der Angst um den Erhalt des Arbeitsplatzes die Leute schon bei der Stange hielt. Und da unsere Eltern uns zu guten kleinen Preußen erzogen hatten, sind wird noch mit dem Kopf unter dem Arm arbeiten gegangen. Die fahrzeugtechnischen Azubis, die ich unterrichtet habe, wurden in den Kölner Werkstätten behandelt wie moderne Sklaven.
FINITO. UFF. Zeit zum Umdenken, sagt die Deutsche Bank. Wird auch Zeit, denke ich mir. Ich weiß, dass der Fachkräftemangel für die Volkswirtschaft zu einem großen Problem wird. Aber ich habe in den letzten dreißig Jahren durch meinen Beruf in viele Firmen Einblick gehabt und mir sind nur wenige begegnet, die ihre MitarbeiterInnen angesprochen und behandelt haben, als seien sie wertvoll. Und jetzt lehne ich mich zurück und freue ich mich mit einem etwas schadenfrohen Grinsen darauf, ein paar Leitungsetagen beim Umdenken zuzusehen.