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Ich war diese Woche mit meiner Klasse in Prag. Wir hatten gutes Wetter und eine der schönsten Unterkünfte, in der ich je gewohnt habe. Und wir waren in Theresienstadt.

Theresienstadt. We must never forget.
Photo by Robert Eklund / Unsplash

Meine SchülerInnen waren entsetzt über den Satz Arbeit macht frei in diesem Zusammenhang. Ihr Entsetzen und ihre Empörung haben mich gefreut, soweit man an einem Ort wie diesem so etwas wie Freude empfinden kann.

35.000 Menschen sind hier gestorben, weit über 100.000 sind von hier aus nach Auschwitz deportiert worden, nur sehr wenige haben diese Station überlebt. Die Menschen wurden vergast, ihre Leichen industriell verwertet (Haare, Zahngold usw.) und dann verbrannt.

In einem der Räume läuft ein Film. Den müssen sie unbedingt sehen, sagt einer meiner Schüler, der mit meinem Co-Klassenlehrer den Raum gerade verlässt. Das war doch Manipulation, oder Herr L., fragt er aufgeregt meinen Co.

Ich bin alleine und wahrscheinlich wäre der passende Ausdruck, dass mir das Blut in den Adern gefriert. Das ist aber nicht das Gefühl. Mir ist einfach sehr kalt und mein Blut fühlt sich an, als wäre es plötzlich sehr zähflüssig.

Old woman covering her face
Photo by Cristian Newman / Unsplash

Der Titel des Films ist Die geschenkte Stadt.  Ein KZ ist ein Geschenk?

Ich sehe einen Film. Szenen wechseln ab.

Die Stimmung ist heiter. Die Männer spielen Fußball, alle anderen schauen zu. Nach dem Spiel gehen Zuschauer und Spieler vergnügt etwas trinken.

Eine Kohlezeichnung von verhärmten, ausgemergelten Gesichtern.

Frauen unterhalten sich fröhlich strickend. Wahrscheinlich über ihren schönen Tag in Theresienstadt und die neuesten Kochrezepte.

Ein weitere Kohlezeichnung: kranke Kinder in Sträflingskleidung, keines über zehn Jahre alt.

Ein junges Mädchen schaut verträumt in ihren Spiegel, wahrscheinlich trägt sie gleich eine Pflegecreme auf. In den Räumen, die gezeigt werden, sind wir gerade gewesen.

Eine alte Frau mit der Tagesration an Essen: Zunächst 360 Gramm Brot, später 250. Eine Tasse heißes Wasser. Man kann sehen, dass sie friert.

Auf den Außenanlagen der Festung sind Schrebergärten. Gemeinschaftliches Gärtnern bei schönem Wetter um den Speisezettel zu pimpen. Das reinste Ferienlager.

Während die Aufnahmen konstrastieren, liest eine Männerstimme Zahlen vor. Es geht um die Transporte nach Auschwitz. Häufig 1000 Personen. Überlebt hat oft niemand, manchmal jemand, die Zahl der Überlebenden lag fast immer unter 10, unter 1%, wenn man dorthin unterwegs war.

Nach dem Film habe ich Schwierigkeiten mit dem Atmen. Abends im Netz finde ich folgendes heraus:

Als besetztes Land sah sich auch Dänemark mit der Verfolgung der Juden konfrontiert. Die dänische Regierung forderte Aufklärung über das Schicksal von etwa 450 dänischen Juden, die zum größten Teil in das Ghetto Theresienstadt deportiert worden waren. Adolf Eichmann erteilte schließlich Vertretern der dänischen Regierung sowie des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz die Erlaubnis, das Ghetto Theresienstadt am 23. Juni 1944 zu besichtigen.

Diesem Besuch war monatelang eine Reihe von „Verschönerungsmaßnahmen“ vorangegangen. Im Mai 1944 wurden 7500 Menschen nach Auschwitz deportiert, um das Ghetto, welches durchschnittlich mehrere zehntausend Menschen beherbergte und dabei für nur 7000 konzipiert war, weniger überfüllt erscheinen zu lassen. Es wurde eine Fassade errichtet, die das tatsächliche Leid der Bewohner Theresienstadts kaschierte, was dazu führte, dass die ausländischen Delegierten positive Berichte einreichten. Diese bewirkten, dass das Internationale Komitee vom Roten Kreuz keine anderen Lager im Osten inspizierte. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Theresienstadt_(Film)

Der Film wurde unter der Regie eines Lagerinsassen gedreht. Die unfreiwilligen "Schauspieler" wurden auch im Lager rekrutiert. Die Darsteller, auch die Kinder, der Regisseur und viele andere wurden wenig später in Auschwitz ermordet.

Dabei war es doch in Theresienstadt so schön, dass man die Insassen beneidete:

H. G. Adler berichtet in Die verheimlichte Wahrheit (1958) über eine Wochenschau vom Herbst 1944, in der eine Kaffeehaus-Szene aus dem Film und anschließend Bilder von der Kriegsfront gezeigt werden, wozu der Sprecher kommentiert:

„Während in Theresienstadt Juden bei Kaffee und Kuchen sitzen und tanzen, tragen unsere Soldaten alle Lasten eines furchtbaren Krieges, Not und Entbehrungen, um die Heimat zu verteidigen.“ Quelle: s.o.

Wer weiterlesen will, tut es hier:

www.ghetto-theresienstadt.de oder bei wikipedia.

Was ist das Grauen?

Menschen ohne jede Berechtigung mit Gewalt aus ihrem Zuhause zu reißen.

Sie einzusperren.

Sie einzusperren an einem Ort, an dem es nur Hunger, Gewalt, Kälte und Hoffnungslosigkeit gibt.

Ihre systematische Vernichtung zu planen.

Sie vorher zu zwingen an diesem Ort einen Film zu drehen, in dem das Horrorlager wirkt wie eine Ferienfreizeit. Wie kann man Menschen mehr verhöhnen?

Sie dann wie geplant umzubringen.

Wo ist unten?

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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