Ein Landei kullert durch die Welt

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Wenn wir, Heike, Jean Michel und ich, über meine Chefin Madame Auzépy (Oseepie) sprechen, sprechen wir den Namen englisch aus und so wird sie zu Lady Otsepei. Viele Jahre später wird Meryl Streep in einem Film als Chefredakteurin der RUNWAY sagen:

  • Everybody wants to be us.

und ihre Assistentin denkt sich

  • Ehhhh, nö.

und kündigt. Ich glaube, dass die französische Bourgeoisie ähnlich denkt. Lady Otsepei, die ich euch letzte Woche vorgestellt habe, gibt sich mir gegenüber gerne huldvoll (Was für ein Wort. Viel zu selten verwendet, ähnlich wie purpurn und Hufschlag).

Ich fühle mich in meiner Middleclass-Studentinnen-Haut sehr wohl und gebe mich ihr gegenüber sonnig mit einem Hauch Aufsässigkeit. Der ist schwer nachzuweisen und lohnt den Konflikt meistens nicht. Die Lady versucht ihrer 17-jährigen Tochter Hélène beizubringen, wie man mit dem Personal umgeht. Das Personal bin ich. Hélène möchte, dass ich ihre Bücher absauge, wenn ich im Regal staubwische. Ich nehme aber keine Arbeitsanweisungen von 17-jährigen Töchtern entgegen und die Bücher bleiben unabgesaugt. Es gibt eben Unterschiede zwischen dem früheren Hausmädchen, das fast zum Eigentum gehörte, und der Studentin mit Arbeitsvertrag. Meine Chefin ist Mylady. Außerdem kenne bis heute ich niemanden, der sich den Arm gebrochen hat, wenn er mal selbst einen Stausauger angefasst hat.

Es gibt Risse in der schönen Welt der Upper-Class. Die großen Vermögen schmelzen langsam ab. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Mitglieder der Klasse hohe Posten mit den entsprechenden Gehältern bekleideten, ist verschwunden. Die Ehemänner sichern nicht mehr zuverlässig die sorgfältig zur Dame (und damit grenzwertig zur Lebensunfähigkeit) erzogenen Mädels ab und diese müssen jetzt auf den Arbeitsmarkt. Denn ein Landarzt in der Bretagne ist auch bei einer Scheidung nicht attraktiv. Tochter Brigitte säuft, Tochter Hélène soll eine Ecole de Commerce, eine Handelsschule, besuchen, Sohn Lionel ist schon in der Welt der Finanzen. Und die Putze, also ich, studiert Literatur. Das ist neben Kunstgeschichte der klassische Bildungsgang der höheren Töchter. Also so geht das eigentlich nicht.

Die Apotheose kommt, als Mylady mich eines Abends auf der Treppe abfängt. Ich bin mit Jean Michel auf dem Weg nach unten. Wir sind verliebt, glücklich und strahlen. Und eines ist unbestreitbar: Jean Michel hat jede Menge claaasse. Seine Familie hat in Lyon ein immenses Vermögen verloren und die teure Herkunft merkt man ihm an. Der dunkelblaue Kaschmirmantel sitzt wie maßgeschneidert und im Halbdunkel der Dienstbotentreppe sieht man nicht, dass der Mantel nicht vom letzten Jahr ist. Kein Mensch in der Familie könnte so ein Ding noch bezahlen. Ich mache die beiden miteinander bekannt, in der richtigen Reihenfolge mit den richtigen Worten, da ist eine große Menge französischer Literatur doch hilfreich. Jean Michel kann alle Codes der Bourgoisie mit entspannter Lässigkeit und hat die Lady nach drei Minuten niedergecharmt. Ich beobachte amüsiert ihre wechselnden Gesichtsausdrücke und ihre Blicke von ihm zu mir und zurück.

Am nächsten Tag arbeite ich und es gibt die übliche Kaffeepause.

  • Vous savez Ildeugaarde,... Wissen sie Hildegard...

Die Worte perlen hell wie das Wasser eines Zimmerbrunnens.

  • ce que vous faîtes... was Sie da tun...
  • ...s'appelle apprendre une langue sur un oreiller.  ...nennt man, eine Sprache auf einem Kopfkissen lernen.

Aha. Ich hab ein paar Leute inklusive Jean Michel gefragt, wie das gemeint war und alle waren sich einig: beleidigend. Ich habe in der Situation selbst nicht reagiert, nur meinen Kaffee getrunken und sie angesehen.

Am Jahresende bekommen die Dienstboten in der Upper-Class im Regelfall einen Umschlag mit ein bisschen Extrageld. Ich bekomme keinen. Hätte ich doch die Regale abgesaugt...

Irgendwann im Februar bekomme ich stattdessen einen seltsamen Anruf. Lady Otsepei gibt ein Dinner. Ein Gast hat abgesagt und dreizehn sind übrig. Das ist die Vollkatastophe. Also werde ich hinzugebeten. Das ist ungewöhnlich. Und es ist nichts, wozu ich Lust habe. Diese Abendessen sind endlos.

Aristocratic dining table
Photo by Annie Spratt / Unsplash

Menschen, die nicht zum Club gehören, werden im Regelfall nur eingeladen, damit die Gäste etwas haben, worüber sie sich lustig machen können, am selben Abend vor laufender Kamera oder später ohne Zeugen. Wenn der Gast sich fehlerfrei verhält, ist es langweilig. Solche Abende habe ich schon erlebt und diese Zeitverschwendung kann man sich bei mir nicht mal mit erstklassigem Essen erkaufen. Dabei bin ich, was gutes Essen angeht, eigentlich schon käuflich. Also erfinde ich einen Vorwand und sage dankend ab. Darauf war sie nicht gefasst. Für eine solche Einladung hätten andere Leute viel gegeben. Worauf ich nicht gefasst bin, ist dass sie noch vier weitere Male nachfragt und ich beim Absagen echt in Schwitzen komme und hoffe, dass ich jedes Mal den gleichen Grund nenne, aus dem ich nicht kann.

Ich hätte mich auf gesellschaftlichem Parkett erproben und beweisen können. Ich hätte mit etwas Geschick eine Anschlusseinladung bekommen können. Ich war damals ganz hübsch, ziemlich unerschrocken und einigermaßen schlagfertig. Wenn man die Meute unterhält, wird man weitergereicht und das kann durchaus einen gesellschaftlichen Aufstieg in die Wege leiten. Was sie nicht weiß: Nichts hat mich jemals weniger interessiert. Persönliche Entwicklung finde ich spannender als das Erklimmen solcher Stufen. Aber persönliche Entwicklung ist in diesen Kreisen nicht vorgesehen.

PS. Es gibt einen wunderbaren Film, der die Welt des BCBC (bon chic, bon genre) mit Hilfe der Geschichte zweier vertauschter und zurückgeführter Kinder beschreibt. Er heißt: Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss. Ich habe einen Ausschnitt gefunden, der das Bürgertum bei einem Gottesdienst zeigt, bei dem seine Fähigkeit zur Leidenschaft deutlich wird. Der Text ist französisch, muss aber nicht verstanden werden, Gesichter, Klamotten und alles andere sprechen für sich.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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Bonn