Canada and me

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Als Einleitung: Heute gibt es die erste Geschichte für das Kapitel Canada and me. Ich bin dort 2013 zum ersten Mal gewesen um meine Tante zu besuchen und habe dort viele kleine Dinge gelernt und beobachtet, die ich im Laufe der Zeit mit euch teilen möchte. In Canada habe ich zum ersten Mal über Kunstleder nachgedacht und wie es dazu kam, erzähle ich euch heute.

Wer, wie ich, in den 1970er-Jahren jung war, hat Glück gehabt. Die relative Anarchie der Gedanken dieser Zeit hat mich seither begleitet und mein Leben einfach schöner und reicher gemacht.

Die Klamotten aus dieser Zeit vermisse ich nicht. Es gab ein besonders grauenvolles Kleidungsstück: Die Patchworklederjacke. Sie war aus Lederresten zusammengestichelt und ausgesprochen hässlich. Noch hässlicher war ihre billige Schwester aus Kunstleder. Dieses Material hatte die Konsistenz von Wurstpellen. Auch die Wurstpellen waren damals aus Plastik, die Nahrungsmittelindustrie hatte völlig vergessen, dass man Essen auch aus etwas produzieren kann, dass irgendwo gewachsen ist oder gelebt hat. Kunstleder war Plastik und ein Schimpfwort. Es fühlte sich schrecklich an und man konnte es hören, wenn die Person sich bewegte. Es hörte sich an, als hätte die Person eine Plastiktüte am Körper.

Ich habe keine dieser Jacken je besessen und sie dann fast vierzig Jahre lang vergessen, bis ich 2013 mit meiner Tante und meiner Nichte in den USA shoppen war. Ich hatte ein paar Boots in der Hand, die sehr hübsch waren und sehr günstig und ich wollte wissen, aus welchem Material sie waren. Der Hersteller teilte mir mit, dass es sich um man made leather handele. Aus Leder sind sie auch noch, dachte ich mir. Wie machen die das, bei dem Preis?

Ein paar US-amerikanische 10Cent-Stücke mussten fallen, bis mir aufging, dass man made leather ein hübscher Begriff für Kunstleder ist. Viel hübscher als fake leather. Gibt man den Begriff in die Suchmaschine ein, erscheinen elegante Schuhe und Taschen.

Die Übersetzung im Onlinewörterbuch lautet Ledernachbildung. Laut Hersteller handelt es sich um eine exclusive alternative to real leather. (https://www.kuraray.eu/en/produkte/product-groups/manmade-leather)

Okeeee... Verwirrung. Kitiker äußern:

Man made leather. The expression "man made leather" is used in some  English-speaking countries and only refers to imitation leather and not  genuine leather. It does not have the quality characteristics of real  leather. The term misleads about the fact that it is not leather. "Man  made" sounds like craftsmanship but it's just pure synthetic,  mass-produced, material. (https://www.leather-dictionary.com/index.php/Man_made_leather)

Aufatmen: es ist trotz der ganzen Sprachschminke immer noch Plastik. Ich habe die Schuhe nicht gekauft, weil ich nicht gerne Plastikschuhe trage. Meine Füße schwitzen und sie sind unbequem. Damit bin ich aber völlig out.

Stella McCartney ist eine Spitzendesignerin, konsequent vegan, auch bei Schuhen und Taschen. Kunstleder heißt jetzt vegan leather oder pleather und wird als super eco-friendly gefeiert:

What’s so great about vegan leather? Only everything. Number one, it’s not made from the skins of dead animals. Plus, it’s eco-friendly—and très chic.

But what is vegan leather?

Vegan leather is often made from polyurethane, a polymer that can be made to order for any designer’s whim. It can also be made  from innovative and sustainable materials such as pineapple leaves,  cork, apple peels, other fruit waste, and recycled plastic and used to create products that put animal skins to shame.

Stella McCartney is  on the growing list of designers who feature only vegan leather in  their collections. And no wonder: Vegan leather is versatile. From moto  jackets in every cut and color to the perfect little black dress—and  even intimate items that are sure to tickle one’s fancy—there’s a vegan leather version. (https://www.peta.org/living/personal-care-fashion/what-is-vegan-leather/)

Polyurethan kenne ich aus der Fahrradmechanik, die macht daraus Pannenschutzreifen. Und es ist Plastik. Aber Plastik macht Karriere und ist richtig teuer geworden:

Diese Tasche kostet 795€ und ist aus 100% Polyester.

Den Höhepunkt erreicht die Geschichte für mich in den diesjährigen Weihnachtsferien, als ich auf der Suche nach Vor-Ausverkaufsschnäppchen in den Galeries Lafayettes in Limoges herumstreiche. Die Schuhe sind toll. Leopard an den Füßen ist out, Phyton ist in.

Neupreis 89€, dreißig Prozent reduziert. Sie sind in meiner Größe noch da und ich probiere sie an. Dann drehe ich sie um und sehe folgendes:

Sie sind Peta-Approved.

Die Sohle sieht billig aus, ich gehe ein paar Mal hin und her, die Schuhe sind unbequem und die Füße bekommen keine Luft. Denn es handelt sich immer noch um PLASTIK.

Und egal, wie sehr man das Material verbal anmalt: ich glaube nicht, dass es eco-friendly ist, die Gesamtmenge an Plastik auf unserem Planeten zu erhöhen.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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