Absurdistan

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Vorletzte Woche war ich am späten Nachmittag in Bonn unterwegs und als mein Blutzuckerspiegel abstürzte, bin ich in die Traditionskonditorie Müller-Langhardt am Marktplatz gegangen um etwas dagegen zu tun. Ich konnte nichts aus dem Angebot essen, weil alles mit Milch oder Sahne gemacht oder einfach zu groß war. Aber ich konnte ein Gespräch mithören.

Während ich überlegte, kam eine andere Kundin und zeigte auf ein mit Schokolade überzogenes Teilchen und sagte, sie wolle einen Mohrenkopf und sie stehe auch zu dem Begriff, sie habe sich da nie umgewöhnen wollen.

Mohrenkopf und Negerkuss waren schon immer unpassende Begriffe. In diesem Sommer haben die Vereinigten Staaten der Welt mal so richtig gezeigt, in welchem Ausmaß schwarze und braune Menschen in den USA gehasst, verachtet, angegriffen und fast beiläufig getötet werden. Ich zusammengezuckt und habe die andere Kundin angesehen. Tellergroße Augen habe ich dann bekommen, als die Konditoreifachangestellte antwortete:

  • Ah, einen Othello.

(Othello ist ein schwarzer Feldherr in einem Drama von Shakespeare.)

Kommt es nur mit so vor oder ist der Begriff mindestens genauso rassistisch wie Mohrenkopf und Negerkuss? Was für eine blöde Frage, natürlich ist er es. Ob man eine ganze Gruppe Menschen oder einen einzelnen als Referenz nimmt, macht keinen großen Unterschied. Warum nicht einfach Schokolade?

Ich wusste nicht mehr, ob man Othello mit oder ohne h schreibt, habe mich dann im Internet verfangen und zu meiner Überraschung folgendes herausgefunden:

Es gibt Othello-Kekse, -schnitten und -kuchen.

Gerettet: Sie sind vegan. 

Es gibt mehrere Cafés, die stolz darauf sind, dass sie mutig von offenem zu verdecktem Rassismus gewechselt sind:

Angst vor Rassismus-Vorwürfen: Torte sorgt für Wirbel – und bekommt neuen Namen

Lübeck - Das 211 Jahre alte Café Niederegger in der Lübecker Innenstadt zählt schon lange zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. (...)  Zu den gefragten Kuchen-Highlights gehört auch bei den Kunden seit mehr als 50 Jahren die Mohrenkopftorte. Doch mit dem Namen soll jetzt Schluss sein: Um Rassismus-Vorwürfen zu entgehen, will das Traditions-Café die Torte umbenennen.

Quelle: https://www.express.de/news/panorama/angst-vor-rassismus-vorwuerfen-torte-sorgt-fuer-wirbel---und-bekommt-neuen-namen-28393460?cb=1607229686086

Aber es gibt eben auch Menschen, denen solche Mechanismen bewusst geworden sind. Ein paar Dinge sind im Sommer in den USA in Bewegung gekommen:

  • HBO hat Vom Winde verweht aus dem Programm genommen, weil ein Leben mit Sklaven als angenehme Lebensform dargestellt wird.
  • Die Marken Uncle Ben's und Aunt Jemima werden umbenannt, weil sie mit Rassenklischees spielen.
  • Das Footballteam Washington Redskins denkt über einen Namenswechsel nach, weil die mörderische Verdrängung der amerikanischen natives dann doch ein ernstes Thema sind.

Und da bei rassistischen Benennungen jeder mitspielen darf, hier noch zwei Beispiele aus Frankreich: Der Ellenbogenknochen, der in Deutschland Musikantenknochen heißt, heißt in Frankreich petit juif: Kleiner Jude. Und das beliebte Gesellschaftsspiel Stille Post heißt téléphone arabe.

Zum Schluss:

Ich gehe jetzt und überziehe die Nussecken, die ich gestern für meine Lieben zum Nikolaus gebacken habe, mit Schokolade. Es hat mich gefreut, zu lesen, dass ich mit den Ohtello-Keksen nicht alleine bin. Hier also für Interessierte zum Weiterlesen:

Die Krux mit der Sprache

Marvin Oppong | 30. März 2020

Er schreibt zum Thema Lebensmittelbezeichnungen.

und

Über „Othello“, Kakaokekse und das Anliegen einer werteorientierten Framesemantik

von Alexander Lasch

Lasst euch von dem Titel nicht abschrecken, der Artikel ist sehr interessant.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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