Abenteuer im Limousin

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Man sagt,es hätte früher mehr davon gegeben. Kennengelernt habe ich noch zwei: Restaurants ohne Speisekarte. Man kommt herein, wird gefragt, ob man essen möchte und wenn man ja sagt, passiert auf dem Tisch das Menü des Tages. Es gibt keine Auswahl. Es ist, als wäre man nach Hause gekommen und äße eben das, was Mutti heute gekocht hat.

Eines von diesen Restaurants mir wurde mir empfohlen und ist hier schon aufgetaucht, das andere habe ich zufällig entdeckt. Es lag südöstlich von Limoges in einem winzigen Ort namens Aureil und hieß Les Rebeyrolles. Es war von außen kaum als Restaurant zu erkennen. Was mich stutzig gemacht hatte, waren die vielen Handwerkerautos auf dem Parkplatz. Das ist häufig ein Indikator für günstig und gut. Es war ein schöner Tag und die Gaststube stand offen. Ich habe hineingeschaut und sah Menschen in tiefem Wohlbehagen essen. Es war der Ausdruck in ihren Gesichtern, der mich beeindruckte. Es waren Menschen, die an keinem anderen Ort der Welt sein wollten als genau da.

Also haben wir es auspobiert. Und wir sind ihnen verfallen, den beiden Schwestern. Eine von ihnen war in der Küche, eine im Service. Ich habe sie in den Jahren, die ich dort hingegangen bin, nicht eine hektische Geste machen sehen. Der Weg zur Toilette ging durch die Küche, so dass man man ein bissen spinksen konnte. Fünf Gänge gab es für 17 Euro, Wein inklusive. Ich muss die Fotos nachreichen, sie sind in Bonn und ich bin in MonVillage.

Sie haben gar keinen Alarm gemacht. Kalte Vorspeise: Salat oder Tomaten oder Tomatensalat mit Ei oder grüner Salat mit Ei. Aber es waren TOMAAAATEN, so etwas habe ich nie vorher und nie nachher gegessen. Sie waren geschält und zerschmolzen im Mund. Mit einem Hauch von Knoblauch und einer zarten Vinaigrette. SALAAAT, der sich beim essen anhört, als äße man Kartoffelchips, kannte ich schon von meinem Lieblingsnachbarn in MonVillage. Heinz hat die Röstkartoffeln seines Lebens gegessen. Sie kamen aus einer riesengroßen schwarzen Pfanne. Jeder von euch weiß wahrscheinlich, was es bedeutet, wenn man noch Jahre später weiß, was man an einem bestimmten Tag oder bestimmten Ort gegessen hat.

Eine warme Vorspeise. Ein Hauptgericht ohne Chichi. Ein Dessert aus einem hundert Jahre alten Ofen. Heinz hätte die Kartoffelpfanne, den Ofen und die Köchin am liebsten sofort geklaut. Die Erinnerung an den warmen, gebackenen Vanilleflan treibt uns noch heute Tränen in die Augen.

Als ich mit Steffie und ihrer Familie da war, war Glückstag. Grundsätzlich bin ich laktoseintolerant. Aber für die beiden Schwestern habe ich mehr als eine Ausnahme gemacht. Wir hatten Salat, eine kleine Quiche Lorraine, Roastbeef mit Bratskartoffeln (die Schreibweise ist Heinz geschuldet), Käseplatte, klar und einen Fraisier. Er besteht aus Biskuitteig, Schlagsahne, Erdbeeren und das gleiche noch einmal nach oben gebaut. Er war zehn Zentimeter hoch. Steffies Ehemann erledigte das vor dem Restaurant mit einer Spritze, er ist Diabetiker. Wir haben gegessen und gekämpft für die deutsche und die französische Flagge, aber keiner hat das komplette Menü geschafft. Wir haben es genossen und uns verbeugt vor zwei Schwestern, die einfach Menschen mit Essen eine Freude machen wollten. Es hat funktioniert.

Beide sahen nicht viel älter aus als fünfzig. Beide sagten aber auch, dass sie seit fünfzig Jahren im Beruf seien. Keiner von uns war einverstanden, als sie in Rente gingen, aber leider hatten wird kein Mitbestimmungsrecht. Auch nach dem Übergang war der Wunsch, andere Menschen gücklich zu machen, nicht auszurotten.

Ich war mit Ute noch einmal in Aureil um zu überprüfen, ob sie auch wirklich nicht mehr offen haben. Wir schlichen also um das Gebäude, als ein Fenster aufging. Ich habe Ihre Stimme erkannt, sagte die Service-Schwester, mit der ich eine sehr freundschaftlche Beziehung hatte. Möchten Sie einen Kaffee? Klar möchten wir. Der Mirabellenkuchen kommt gerade aus dem Ofen, aber die Mirabellen sind ein bisschen zu sauer. Grins. Ich esse alles, was ihr kocht oder backt. Als ich fünf Minuten später Ute ansprechen möchte, kann ich es auch lassen, sie ISST mit geschlossenen Augen den Kuchen mit den zu sauren Mirabellen. Er ist, wie alles, was die beiden uns jemals serviert haben, zum Niederknien.

Danke an zwei Frauen, die wussten, was und wie man einkauft oder anbaut. Danke an zwei Frauen, die wussten, wie man Nahrungmittel beim Kochen noch besser macht. Wir hatten Glück. Wir waren dabei.

Hildegard Wichmann

Hildegard Wichmann

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