Zu meinen wesentlichen Eigenschaften gehört, dass ich total verfressen bin. Das kann zwar gelegentlich zu Gewichtsproblemen führen, hat aber einen gigantischen Vorteil: Ich habe etwas in meinem Leben, was mich zuverlässig glücklich macht und das ist gutes Essen. Das ist doch eine Bank, oder? Schlechtes Essen macht mich folgerichtigerweise unglücklich, gar kein Essen aggressiv.
In Mon Village haben alle Einwohner Hühner, Enten, Perlhühner und Gänse und die meisten einen potager, einen Gemüsegarten. Den größten und schönsten, fruchtbarsten und gepflegtesten hat mein Lieblingsnachbar Jacques. Er hat schon früh angefangen, mich an dessen Erzeugnissen zu beteiligen. Angefangen hat es im Sommer 2010 mit Salatköpfen von 70cm Durchmesser. Die ersten habe ich mit Heinz zusammen gegessen, dazu Limousinrind vom Grill, Baguette und leckeren Loirewein. Diese Salate haben drei Tage gehalten, so groß waren sie und es hat sich angehört, als würden wir Chips essen, so knackig waren sie. Ich habe so etwas vorher schon gegessen, aber nicht in Deutschland und es kam nicht aus Holland.
In Frankreich heiße ich seit 1983 Illi mit Akzent auf der zweiten Silbe. Das ist eine Notlösung, aber wer will schon Ildögarde oder Ildö heißen? Nicht mal der hochgebildete Jean-Michel hat eine brauchbare Aussprache meines Namens hinbekommen, auch nicht, als ich ihm damit gedroht habe, ihn von nun an Johannes Michael zu nennen. Hilli war mein Kindername und Illi ist ok.
Viele Sätze im Sommer fangen mit den schönen Worten an Illi, tu veux… , möchteste du… dann folgt der Name eines Gemüses oder eines anderen Produktes. Ich strahle zurück und sage immer Avec plaisir, sehr gerne, ob ich das Produkt kenne oder nicht. Manchmal frage ich nach der Zubereitung, manchmal ist Jacques ein bisschen erstaunt über meine Ahnungslosigkeit, aber es ist ihm kaum anzumerken. Meine Affirmation führt dann meistens zu einem Eimer auf der Gartenmauer oder zu einem Kurzbesuch mit zwölf Eiern. Wenn ich Gäste habe, nehmen die Mengen überproportional zu. Zucchini, Zwiebeln, Schalotten, Knoblauch, Kräuter, Kartoffeln, Möhren, Lauch, Kürbis….grüne Bohnen, seufz, wenn ihr wüsstet, wie diese Bohnen schmecken, Tomaten, Auberginen…
Es gibt auch die Variante Illi, tu aimes…,magst du…? gefolgt von etwas, von dem Jacques nicht weiß, ob ich es kenne und ob ich es mag. Auch hier habe ich noch nie nein gesagt. Auch wenn ich es tatsächlich nicht kenne; die Härteprüfung war Wildschweinleber. Jacques ist jemand, der vom Wald leben kann. Außer den Tieren und Pflanzen, die er um sein Haus herum aufzieht, kann er jagen, fischen, imkern, Likör aufsetzen, Pilze finden und unterscheiden und wahrscheinlich noch viele Dinge, von denen ich nichts weiß. Und er kann alles zubereiten, was er produziert. Alles bauen kann er auch, er ist als Maurer in Rente gegangen. Wenn es in Europa mal ein ernstes Problem geben sollte, möchte ich hier sein.
Die Menschen hier machen die Nahrungsmittelsuche nicht zum Spaß, sondern damit das Geld im Haus bleibt. Das Limousin ist traditionell eine arme Gegend. Man kauft nichts, was man selbst machen kann.
Manchmal, das ist seltener, aber auch ganz toll, steht kein Eimer auf der Gartenmauer, sondern ein großer Teller. Ich habe den Eindruck, dass es ein bisschen öfter passiert, wenn ich Gäste habe. Konni hat viel Glück, in dem Sommer, in dem sie da ist, passiert es regelmäßig. Ohne großen Kommentar materialisiert sich immer wieder ein riesiger Teller mit gebratenen Steinpilzen mit Petersilie und Knoblauch noch dampfend auf der Mauer. Darauf gibt es nur eine angemessene Reaktion: alles fallen lassen und schauen, ob der Weißwein kalt ist. Bei einem von Heiners Aufenthalten bekommen wir, auch noch heiß, eine große Platte mit frischgeernteter, frisch gekochter roter Beete. Wir haben uns am Morgen gestritten, aber ich kleckse etwas saure Sahne auf die Bescherung, hole zwei Löffel und ihn zum Essen. Er weiß das, was wir hier kulinarisch erleben sehr zu würdigen und es wäre schade um das leckere Essen. Wir löffeln aufeinander zu und als wir in der Mitte aufeinander treffen, haben wir uns wieder versöhnt. Man darf die Macht von gutem Essen nicht unterschätzen.
Die warmen Gerichte entstehen in Jacques‘ husbands hole, dort verarbeitet er auch die Beute seiner Jagdausflüge und stellt Unmengen von Konserven für den Winter her. Er hat dort keine Küche, sondern einen Dreibein mit Gasflasche und paar riesige Kessel auf einem Betonboden. Martine wird dort nicht oft gesichtet. Jacques husbands hole besteht aus einer Garage mit zahlreichen angebauten Hütten, so ein bisschen das Disneyschloss unter den husbands holes.
Mein Landleben hier hat erzieherische Wirkung auf mich. Jacques schenkt gerne, großzügig, mit leichter Hand und ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Doch ich sehe jeden Tag, wie viel Arbeit er hat, damit alles so lecker wird. Und ich habe, besonders, wenn ich alleine bin, keine Chance, das alles aufzuessen. Wegschmeißen ist keine Option. Also koche ich aus dem, was ich nicht schaffe, Gemüsesuppe oder etwas anderes und mache diese in Portionsgläsern ein. Am Ende des Sommers fahre ich mit dem Auto nach Hause. Das ist dann beladen mit diesen Konserven und noch so einigem, von 30 Eiern bis Pfefferminzlikör. Wieder in Bonn habe ich eine riesige Schublade voll mit „Fertiggerichten“ , was im hektischen Schulalltag sehr angenehm ist.
Mit dem Segen ohne Auto klarzukommen ist nicht immer ganz einfach. 24 Eier im Koffer können schweißtreibend sein, wenn man mit ihnen in der Pariser Metro unterwegs ist. Sie alle hartzukochen ist auch doof, weil man dann nichts anderes mehr damit machen kann. Dass man mich auch mit diesem Problem nicht alleine lässt, erlebe ich im Herbst 2012. 2012 war der Sommer mit Konni und es gab eine unglaubliche Menge von Steinpilzen. Im Herbst setzt sich das fort. Ich bin zum formlosen Abendessen in der Küche bei Martine und Jacques eingeladen. Es gibt Omelette mit Steinpilzen und grünem Salat, eine Delikatesse erster Ordnung. Ich schwärme, ich esse das bei den beiden nicht zum ersten Mal, aber es haut mich jedes Mal wieder um. Und ich erzähle von meinen Problemen beim Eiertransport auf den tausend Kilometern nach Hause.
Am Vortag meiner Abreise mit dem Zug werde ich Richtung Disneyschloss beordert. Der sonst so sanfte Jacques hat einen metallischen Unterton in der Stimme, der heißt, dass Widerspruch zwecklos ist. Ich kenne ihn von anderen Gelegenheiten, halte die Klappe und unterbreche meine Packerei. Ich soll ihm einen Karton bringen, lautet die Aufforderung. Der erste ist zu klein, der zweite auch. Er habe selbst etwas gefunden, ich könne dann gehen, er käme später vorbei. Am frühen Abend glockt es am Gartentor: Mir wird ein Karton mit den Maßen 20x20x70cm präsentiert, der fast vollständig in Panzerband eingewickelt ist. Ich frage nach dem Inhalt und bekomme als Antwort nur surprise und ich möge bis Weihnachten auf mich aufpassen. Ich packe meinen Koffer noch einmal um, ausgeschlossen, dass der Inhalt des Pakets bis Weihnachten hält.
Am Abend bin ich bei Freunden in Paris, das wusste Jacques, als er seine surprise eingepackt hat. Antoine ist auf Konzertreise, Anne und ich öffnen mit den Kindern das Paket. 12 Eier. Steinpilze, jeder so groß, das ein Schlumpf darin wohnen könnte. Petersilie. Knoblauch. Eine kleine Flasche von dem äußerst beliebten Pfefferminzlikör. Ein Steinpilzomelette, mehr noch, ein Limousin-Abend to go , lange bevor die Kochbox erfunden wurde.
Damit ich da draußen nicht hungern muss und die parisiens auch mal etwas Anständiges zu essen bekommen.