Etikettenschwindel 2 und 3
Le sucre
Ich drehe schon lange leidenschaftlich gerne Lebensmittelpackungen um, bin aber immer noch zu belustigen und zu erschrecken. Vor einigen Jahren wurde der Prozess des Marmelade-Kochens revolutioniert.
Dieser ist seit Jahrhunderten unverändert: Man kocht ein Kilo Früchte mit einem Kilo Zucker. Wenn man es gut macht, hat man hinterher Marmelade. Wenn man es schlecht macht, hat man hinterher Fruchtsauce oder einen Geleeblock mit der Konsistenz von Gummibärchen. Aber der chemische Prozess hat sich seit der ersten Marmelade nicht geändert.
Das gesundheitsbewusste Volk will aber mehr Obst und weniger Zucker. Denn Zucker ist Gift und macht dick, das weiß ja jeder. Low-Carb soll es sein. Und die Nahrungsmittelindustrie liefert auf Knopfdruck Supergelierzucker, der Marmelade mit einem Verhältnis von zwei Dritteln Früchten und einem Drittel Zucker verspricht oder sogar 3:1. Ich koche sehr gerne, auch Marmelade und habe mich gefragt, wie sie es geschafft haben, die Chemie auszutricksen.
Also bin ich in den Supermarkt getapert und habe eines von den Päckchen gebeten sich mal umzudrehen, habe freundlich den verknitterten Rücken glattgestrichen und dort stand zu lesen, dass im Zucker neuerdings Palmfett ist. Gelingt immer und macht auch nicht mehr dick. Also der Zucker jedenfalls nicht. Rülps.

Auch besonders geeignet für die gesundheitsbewusste Ernährung ist fettarme Kost, das weiß auch jeder. Daher empfehle ich für die Low-Fat-Variante folgendes Produkt: Marshmallowpaste.

Es hat keine der schlechten Eigenschaften von Fett, da es zu hundert Prozent aus Zucker besteht. Vermutlich sind noch ein paar Oren drin: Emulgatoren und Stabilisatoren, die kleinen Gemeinheiten, für die unser Körper keine Verwendung hat, als Krankheiten auszulösen.
Besonders gemeingefährlich können solche Schwindel für Diabetiker werden. Ich habe bei meinem Vater mal eine Dose mit Fertig-Cappuccinopulver weggeworfen, auf der stand: Ohne zusätzlichen Zucker. Als ich sie umgedreht hatte, stellte sich heraus, dass das Grundprodukt schon zu 50% aus Zucker besteht.

Mein Vater ist an seiner Diabetes gestorben. Kurz vorher hat man ihm noch zwei Mal das linke, absterbende Bein teilamputiert. Der behandelnde Chirurg wollte meinen Bruder und mich auf seinen Tod vorbereiten und tat es mit den Worten: Der Mann kommt nicht mehr auf die Beine. Manchmal möchte ich einfach meinen Kopf in Ruhe vor die Wand hauen.
La vanille
Der zweite Teil ist Tom S. aus der Nähe von A. gewidmet, weil es letzte Woche keinen Blogpost gab.
- Und seit wann kann Papa eigentlich backen?
Also meiner konnte es nicht, aber der hübsche Junge aus der Werbung konnte es und seine kleine Tochter hat ihn entsprechend angehimmelt. Zu diesem Triumph hat ihm nicht der böse Onkel verholfen, der das Marzipan von Lindt vergiftet, sondern ein seriöser Wissenschaftler: Dr. Oetker, ein deutsches Familienmitglied. Er hatte gerade die relativ teure Vanillemühle erfunden, aus der Vanilleflöckchen sanft wie Schnee auf Schlagsahnehauben rieseln.

Als Heiner und ich mal für die Weihnachtskekse einkaufen waren, fragte er mich: Was mahlen die da eigentlich? Wir haben gemeinsam so manche Vanilleschote ausgekratzt und mir fiel nichts Besseres ein als: Vanille? Er drehte die Mühle um stellte fest, dass in der Mühle zerkleinerte Vanilleschoten waren, also nicht das Mark, das Vanille man für die Backwaren eigentlich verwendet. Die Schoten sind kein Abfallprodukt, man kann damit Zucker und Saucen aromatisieren, aber gerechnet hatte ich damit nicht. Die Mühle ist vom Markt wieder verschwunden.
Für den Teig meiner Vanillekipferl kratze ich Schoten aus, aber zum Wenden in Puderzucker ist das unpraktisch, weil sich das Mark nicht gut verteilt. Also kaufe ich für diesen Teil der Kipferl Bourbon-Vanillezucker. Auch vom guten Doktor und auch nicht geschenkt.

Und dieses Jahr habe ich auch hier das Tütchen mal umgedreht und siehe da: Die Schoten aus der Mühle sind jetzt hier gelandet. In Frankreich mach sie es genauso und fügen, damit die Tüte schneller voll ist, noch Stärkemehl hinzu.
Verärgert habe ich dann den superteuren Bio-Vanillezucker vom dm-Markt gekauft und zum ersten Mal festgestellt, wie Vanillezucker wirklich schmeckt. Also wenn Vanillemark verwendet wird.

Die Würzkraft ist derartig hoch, dass man nur die Hälfte braucht. Geht doch. Ich nehme nie wieder etwas anderes.
Epilog: Heinz hat den Untergang des Abendlandes mal mit den Worten beschrieben: Wir fressen analogen Käse und hören digitale Musik. Besser kann man es nicht ausdrücken. Und wer noch nicht weiß, was Analogkäse ist, kommt demnächst mal wieder vorbei.