Pfingsten 2011
Der schönste Schritt an jedem Morgen in MonVillage, egal zu welcher Jahreszeit, ist der mit dem Kaffee in der Hand durch die Küchentür in meinen Garten.
Die Kleiderordnung in Mon Village sieht vor, dass man alles verdeckt, was die Nachbarn nicht sehen sollen. Vielleicht sieht sie auch vor, dass man nichts anzieht, was die Hühner erschreckt. Darüber müsste ich mal nachdenken. Nach zwei Tagen in Mon Village habe ich in der Regel vergessen, wohin Wimperntusche gehört. Ins Ohr? Ungeschminkt, unfrisiert und ungestylt verbringe ich dort meine Ferien.
Pfingesten 2011 ist besonders schönes Wetter, es ist schon fast Sommer. In diesem Frühsommer reicht das Überstülpen eines Kleidchens und ich bin ready for coffee in the garden. Der Kaffee verharrt einen Moment in meiner Kehle, weil ich das Herunterschlucken vergesse. Ich wusste, dass auf meinem Telefonmasten nachts eine große Eule sitzt. Heinz ist ein großer Fan von ihr. Was ich nicht wusste, ist, dass sie in diesem Frühjahr im Giebel des Nachbarn zwei kleine Eulen gemacht hat.
Die beiden hocken in ihrem Giebel, sind ungefährt zehn Zentimeter hoch und schauen sich an. Sie sind hinreißend. In meinem Kopf führen sie in etwa folgenden Dialog:
Minieule 1: Mama hat gesagt, dass wir Eulen sind, weißt du, wie das geht?
Minieule 2 zuckt mit den Schultern: Keine Ahnung, aber lass uns mal da rüber zur Scheune fliegen. Mal sehen, wie fliegen geht.
Verzückt schaue ich ihnen zu. Fliegen geht so mittelgut. Die beiden purzeln durch die Luft, müssen furchtbar mit den kleinen Flügeln schlagen, um Richtung und Gleichgewicht zu halten. Zum Glück habe ich den Kaffee inzwischen heruntergeschluckt, sonst würde ich losprusten. Vielleicht ist es mit dem Fliegen wie mit dem Fahrrad fahren. Es dauert einen Moment, bis man es kann, aber dann verlernt man es nicht mehr.
Am Morgen war es ein bisschen Slapstick. In der Nacht folgt die Vorstellung in Magie. Ich möchte nicht schlafen, weil Vollmond ist und die Nacht so schön ist. Ich knie auf meinem Bett am Schlafzimmerfenster und atme die kühl-warme Nachtluft ein. Mein Grundstück ist abschüssig und singt leise die Mondnacht von Eichendorff.
Es war, als hätt der Himmel die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder, die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis die Wälder, so sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.
Es ist eins der schönsten Gedichte, das ich kenne. Aber heute nacht ist es nicht meine Seele, die fliegt. Ein großer Raubvogelschatten bewegt sich über dem hellen Garten. Mutter Eule ist mit ihren beiden Plüschtierchen zum Unterricht erschienen. Auf dem Stundenplan: Flugunterricht. Gleitflug. Gegebenenfalls schon mit Ausspähen potentieller Beute. Mutter Eule fliegt was vor und die beiden Kleinen fliegen nach. Das Schauspiel ist fast vollkommen lautlos und ich versuche weder zu atmen noch mich zu bewegen. Denn das, was ich hier beobachte, gehört zu dem schönsten und elegantesten, was ich je gesehen habe.
Morgens um fünf wache ich auf, ich hänge halb aus dem Fenster, es ist schon fast hell. Das Weinglas ist mir aus der Hand gerutscht und liegt draußen im Gras. Ich räuspere mich, verziehe mich ins Bett und schwöre, dass ich nie wieder kleine Eulen auslachen werde.