Ich komme von den Herbstferien nach Hause. Das Auto bleibt in MonVillage wie immer im Winter. Es geht mir gut, ich bin früh am Bahnhof, wie immer. Limoges hat einen der schönsten Fahnhöfe Frankreichs und ich liebe Bahnhofsbuchhandlungen.

Ein paar Mal haben Bücher mich laut angesprochen: Kauf mich, August Vierzehn war so eins. Heute ist es wieder so weit. Das Buch heißt La magie du rangement, die japanische Autorin Marie Kondo ist mittlerweile weltberühmt. Auf Englisch heißt das Buch The lifechanging magic of tidying up und auf deutsch Wie richtiges Aufräumen ihr Leben verändert. Mit dem deutschen Titel hätte ich es nicht gekauft. Wo ist die Magie geblieben?
Die 3 3/4 Stunden nach Paris reichen aus um den völlig unprätentiösen Text zu lesen. Sie hat eine Methode zum Aufräumen entwickelt, weil sie den Prozess und sein Scheitern schon als kleines Mädchen interessant fand und SEHR lange darüber nachgedacht hat. Was mich besonders begeistert, ist ihr Versprechen, dass man fertig wird. Man kann mit Aufräumen fertig werden? Ich habe zu diesem Zeitpunkt schon eine ganze Reihe Videos zum Thema Minimalismus gesehen. Die Bewegung kommt aus den USA, wo viele Menschen anfangen sich vor dem ganzen Zeug zu ekeln, das sie von A nach B räumen, abstauben, für das sie Wohnraum zur Verfügung stellen und das ihr Leben zumüllt und die Umwelt zerstört.
Leichtes Gepäck von Silbermond ist schon lange eines meiner Lieblingslieder. Eine gewisse Disposition für das Thema ist also schon da.
In Bonn angekommen, mache ich mich ans Werk. Dass man eines seiner Zimmer während des Prozesses nicht oder kaum benutzen kann, nehme ich in Kauf. Die Methode ist einfach. Es gibt eine Reihenfolge: Man beginnt mit denKlamotten, weil der Abschied am leichtesten fällt und beendet den Prozess mit Fotos, Liebesbriefen und anderen emotionsgeladenen Dingen. Es gibt nur ein Kriterium: Wenn es dir Freude macht oder nützlich ist, behalte es. Alle andere geht.
Meine Wohnung war nie wirklich vollgestellt, dafür bin ich zu oft umgezogen. Aber ich bin ehrlich erschrocken, wie viel es trotzdem ist. Ich hatte meinen ersten Schockmoment im Limousin, als ich erfahren habe, dass eine vierköpfige Familie vor hundert Jahre hundertfünfzig Dinge besessen hat und jeder moderne Mensch 10.000. Ich doch nicht, war mein erster Gedanke. Zähl mal alles, ja auch Keller und Dachboden, meldete sich das gestrenge Über-Ich. Jeder Schminkstift, alle CDS, Büüüücher...
Ich habe im Winter 2016/17 sechs Monate gebraucht. Ich habe mich jedes Wochenende darauf gefreut. Begleiten lassen habe ich mich von Youtube-Videos zum Thema Minimalismus, das hat ausgesprochen motivierend gewirkt. Ich habe mich mit jedem Gegenstand, der die Wohnung verließ, leichter und heiterer gefühlt. Was mich später erschreckt hat, ist, dass ich nicht nur nichts vermisst habe, sondern sehr schnell nicht mehr wusste, was ich eigentlich weggetan hatte.
Meine Wohnung ist schöner und klarer. Ich kann mich besser konzentrieren, Ideen kommen leichter. Die Wohnung ist viel leichter sauber zu halten. Im Kleiderschrank sind nur noch Sachen, die ich mag und viele von ihnen passen gut zueinander. Es geht mir einfach besser.
In gewisser Weise bin ich fertig. Ich habe nur noch einen Meter Kleiderschrank. Allerdings sind da dann auch nur die Klamotten für Frühling/Sommer oder Herbst/Winter drin. Die anderen sind jeweils auf dem Dachboden. Aber der Prozess geht natürlich weiter, denn das Leben geht weiter. Aber meine Kaufentscheidungen sind viel überlegter geworden und ich bin auf gesunde Weise mit mir selbst geiziger.
Was spannend war, waren die Reaktionen meiner Umwelt. Die häufigste war Das müsste ich auch mal machen. Aber für mich völlig unerwartet sind einige Menschen richtig aggressiv geworden und mehr als man meinen könnte. Wer dafür für mich eine gute Erklärung hat, möge sie mir bitte mitteilen.